"Ich bin nicht Asatru weil ich einen Hammer trage, ich trage einen Hammer weil ich Asatru bin"
Gylfaginning - Gylfis Visionen
1. König Gylfi beherrschte das Land, das nun Swithiod (Schweden) heißt. Von ihm wird gesagt, daß er einer fahrenden Frau zum Lohn der Ergötzung durch ihren Gesang ein Pflugland in seinem Reich gab, so groß als vier Ochsen pflügen könnten Tag und Nacht. Aber diese Frau war vom Asengeschlecht; ihr Name war Gefion. Sie nahm aus Jötunheim vier Ochsen, die sie mit einem Jötunen erzeugt hatte, und spannte sie vor den Pflug. Da ging der Pflug so mächtig und tief, daß sich das Land löste, und die Ochsen es westwärts ins Meer zogen, bis sie in einem Sund still stehen blieben. Da setzte Gefion das Land dahin, gab ihm Namen und nannte es Seelund (Seeland). Und da, wo das Land weggenommen worden war, entstand ein See, den man in Schweden nun Löger (Mälar) heißt. Und im Löger liegen die Buchten so wie die Vorgebirge in Seeland. So sagt Bragi der alte:
Gefion nahm
von Gylfi fröhlich, dem goldreichen,
Die rennenden Rinder rauchten, den Zuwachs Dänemarks.
Vier Häupter, acht Augen hatten die Ochsen,
Die das Erdstück schleppten zu dem schönen Eiland.
2. König Gylfi war ein weiser Mann und zauberkundig. Er wunderte sich sehr, daß der Asen Volk so vielkundig sei, daß alles nach ihrem Willen ginge. Er dachte nach, ob dies von ihrer eigenen Kraft geschehen könne, oder ob da die Macht der Götter walte, welchen sie opferten. Er unternahm eine Reise nach Asgard, fuhr aber heimlich, indem er die Gestalt eines alten Mannes annahm und so sich hehlte. Aber die Weisheit der Asen, die in die Zukunft blicken, überwog und da sie um seine Fahrt wußten bevor er kam, empfingen sie ihn mit einem Blendwerk. Als er in die Burg kam, sah er eine hohe Halle, daß er kaum darüber wegsehen vermochte. Das Dach war mit goldenen Schildern belegt wie mit Schindeln. So sagt Thiodolf von Hwin, daß Walhall mit Schilden gedeckt sei:
Das Dach
deckten denkende Künstler,
Steinschilde schimmerten über dem Saale Odins.
Am Tor der Halle sah Gylfi einen Mann, der mit Messern spielte, so daß sieben zugleich in der Luft waren. Dieser fragte ihn nach seinem Namen. Er nannte sich Gangleri und sagte, er komme aus unwegsamer Ferne und bitte um Nachtherberge; auch fragte er, wem die Halle gehöre. Jener antwortete, sie gehöre ihrem König: "Ich will dich zu ihm begleiten: da magst du ihn selbst um seinen Namen fragen. Alsbald ging der Mann ihm voraus in die Halle: er folgte ihm nach und dicht hinter seinen Fersen schlug die Türe zu. Da sah er viele Gemächer und eine Menge Volk: einige spielten, einige zechten, andere übten sich in den Waffen. Er sah sich um, und vieles von dem was er sah, schien ihn unglaublich. Da sprach er:
Ehe du
eingehst des Ausgangs halber
Stelle dich sicher.
Du weißt nicht gewiß, ob Widersacher
Nicht im Hause halten.
Er sah drei Hochsitze, einen über dem andern, und auf jedem saß ein Mann. Er fragte, wie die Namen dieser Häuptlinge wären. Sein Führer antwortete: der in dem untersten Hochsitz sitze, sei ein König und heiße Har (der Hohe); der im nächsten heiße Jafnhar (der Ebenhohe), und der im obersten heiße Thridi (der Dritte). Da fragte Har den Ankömmling, was er zu werben komme, und fügte hinzu, Essen und Trinken stehe für ihn bereit wie für alle in Hars Halle. Er sagte aber, zuvor wolle er fragen, ob es da wohl einen weisen Mann gebe. Har sagte, er komme nicht heil heraus, wenn er nicht weiser sei.
"Steh du,
indem du fragst;
Der Antwort sagt, soll sitzen."
3. Da hub Gangleri
an zu sprechen: Wer ist der höchste und älteste aller Götter? Har
sagte: Allvater heißt er in unserer Sprache und im alten Asgard
hatte er zwölf Namen. Der erste ist Allvater, der andere Herran oder
Herian, der dritte Nikar oder Hnikar, der vierte ist Nikuz oder
Hnikud, der fünfte Fiölnir, der sechste Oski, der siebente Omi, der
achte Biflidi oder Biflindi, der neunte Swidur, der zehnte Swidrir,
der elfte Widrir, der zwölfte Jalg. Da fragte Gangleri: Wo ist
dieser Gott, und was vermag er? Oder was hat er Großes getan? Har
sagte: Er lebt durch alle Zeitalter und beherrscht sein ganzes Reich
und waltet aller Dinge, großer und kleiner. Da sprach Jafnhar: Er
schuf Himmel und Erde und die Luft und alles, was darin ist. Da
sprach Thridi: Das ist das wichtigste, daß er den Menschen schuf und
gab ihm den Geist, der leben soll und nie vergehen, wenn auch der
Leib in der Erde fault oder zu Asche verbrannt wird. Auch sollen
alle Menschen leben, die wohlgesittet sind, und mit ihm sein an dem
Orte, der Gimle heißt oder Wingolf. Aber böse Menschen fahren zu Hel
und danach gen Niflheim; das ist unten in der neunten Welt. Da
fragte Gangleri: Was tat er, bevor Himmel und Erde geschaffen waren?
Har antwortete: Da war er bei den Hrimthursen (Frostriesen).
4. Gangleri fragte: Wie ward die Welt, wie entstand sie, und was war
zuvor? Har antwortete: So heißt es in der Wöluspa:
Einst war das
Alter, da alles nicht war,
Nicht Sand noch See noch salzge Wellen,
Nicht Erde fand sich noch Überhimmel,
Gähnender Abgrund und Gras nirgend.
Da sprach Jafnhar: Manches Zeitalter vor der Erde Schöpfung war Niflheim entstanden; in dessen Mitte liegt der Brunnen, Hwergelmir genannt. Daraus entspringen die Flüsse mit Namen Swöl, Gunnthra, Fiorm, Fimbul, Thul, Slid und Hrid, Sylg und Ylg, Wid, Leiptr; Giöll ist der nächste beim Höllentor. Da sprach Thridi: Vorher aber war im Süden eine Welt, Muspel geheißen: die ist hell und heiß, so daß sie flammt und brennt und allen unzugänglich ist, die da nicht heimisch sind und keine Wohnung da haben. Surtur ist er geheißen, der an der Grenze des Landes sitzt und es beschützt: er hat ein flammendes Schwert und am Ende der Welt wird er kommen und heeren und alle Götter besiegen und die ganze Welt in Flammen verbrennen. So heißt es in der Wöluspa:
Surt fährt von
Süden mit flammendem Schwert,
Von seiner Klinge scheint die Sonne der Götter.
Steinberge stürzen, Riesinnen straucheln,
Zu Hel fahren Helden, der Himmel klafft.
5. Gangleri fragte: Was begab sich, bevor die Geschlechter wurden und Menschenvolk sich ausbreitete? Har antwortete: Als die Fluten, welche Eliwagar heißen, soweit von ihrem Ursprung kamen, daß der Giftstrom in ihnen erstarrte wie der Sinter, der aus dem Feuer fällt, ward er in Eis verwandelt. Und da dies Eis stille stand und stockte, da fiel der Dunst darüber, der von dem Gifte kam und gefror zu Eis, und so legte eine Eislage sich über die andere bis in Ginnungagap. Da sprach Jafnhar: Die Seite von Ginnungagap, welche nach Norden gerichtet ist, füllte sich an mit einem schweren Haufen Eis und Schnee und darin herrschte Sturm und Ungewitter; aber der südliche Teil von Ginnungagap war milde von den Feuerfunken, die aus Muspelheim herüberflogen. Da sprach Thridi: So wie die Kälte von Niflheim kam und alles Ungestüm, so war die Seite, die nach Muspelheim sah, warm und licht, und Ginnungagap dort so lau wie windlose Luft, und als die Glut auch dem Reif begegnete also daß er schmolz und sich in Tropfen auflöste, da erhielten die Tropfen Leben durch die Kraft dessen, der die Hitze sandte. Da entstand ein Menschengebild, das Ymir genannt ward; aber die Hrimthursen (Frostriesen) nennen ihn Örgelmir, und von ihm kommt das Geschlecht der Hrimthursen, wie es in der kleinen Wöluspa heißt:
Von Widolf
stammen die Walen alle,
Alle Zauberer sind Wilmeidis Erzeugte,
Die Sudkünstler stammen von Swarthöfdi,
Aber von Ymir alle die Riesen.
Und der Riese Wafthrudnir sagt auf die Frage:
Woher Örgelmir kam den Kindern der Riesen
Zuerst, der allwissende Jote?
Als Antwort:
Aus den Eliwagar fuhren Eitertropfen
Und wuchsen bis ein Riese ward.
Unsre Geschlechter kamen alle daher:
Drum sind sie unhold immer.
Da fragte Gangleri:
Wie wurden die Geschlechter von ihm ausgebreitet? Oder wie geschah's,
daß mehr geschaffen wurden? Oder hältst du ihn für einen Gott, von
dem du gesprochen hast? Da antwortete Har: Wir halten ihn mitnichten
für einen Gott: er war böse wie alle von seinem Geschlecht, die wir
Hrimthursen nennen. Es wird erzählt, als er schlief, fing er an zu
schwitzen: da wuchs ihm unter seinem linken Arm Mann und Weib und
sein einer Fuß zeugte einen Sohn mit dem anderen. Und von diesen
kommt das Geschlecht der Hrimthursen; den alten Hrimthurs aber
nennen wir Ymir.
6. Da fragte Gangleri: Wo wohnte Ymir? Oder wovon lebte er? Har
antwortete: Als das Eis auftaute und schmolz, entstand die Kuh, die
Audhumla hieß, und vier Milchströme rannen aus ihrem Euter; davon
ernährte sich Ymir. Da fragte Gangleri: Wovon nährte die Kuh sich?
Har antwortete: Sie beleckte die Eisblöcke, die salzig waren, und
den ersten Tag, da sie die Steine beleckte, kam aus den Steinen am
Abend Menschenhaar hervor, den andern Tag eines Mannes Haupt, den
dritten Tag war es ein ganzer Mann, der hieß Buri. Er war schön von
Angesicht, groß und stark und gewann einen Sohn, der Bo r hieß. Der
vermählte sich mit Bestla, der Tochter des Riesen Bölthorn; da
gewannen sie drei Söhne: der eine hieß Odin, der andere Wili, der
dritte We. Und das ist mein Glaube, daß dieser Odin und seine Brüder
Himmel und Erde beherrschen.
7. Da fragte Gangleri: Wie vertrugen sich diese mit Ymir, und
welcher war der Stärkere? Har antwortete: Börs Söhne töteten den
Riesen Ymir, und als er fiel, da lief so viel Blut aus seinen
Wunden, daß sie darin das ganze Geschlecht der Hrimthursen
ertränkten bis auf einen, der mit den Seinen davon kam: den nennen
die Riesen Bergelmir. Er bestieg mit seinem Weib ein Boot (Wiege)
und rettete sich so, und von ihm kommt das (neue)
Hrimthursengeschlecht, wie hier gesagt ist:
Im Anfang der
Zeiten vor der Erde Schöpfung
Ward Bergelmir geboren.
Des gedenk ich zuerst, daß der altkluge Riese
Im Boot geborgen ward.
8. Da fragte Gangleri: Was richteten die Söhne Börs aus, daß du sie
für Götter hältst? Har antwortete: Davon ist nicht wenig zu sagen.
Sie nahmen Ymir und warfen ihn mitten in Ginnungagap und bildeten
aus ihm die Welt: aus seinem Blut Meer und Wasser; aus seinem
Fleisch die Erde; aus seinen Knochen die Berge, und die Steine aus
seinen Zähnen, Kinnbacken und zerbrochenem Gebein. Da sprach
Jafnhar: Aus dem Blut, das aus seinen Wunden geflossen war, machten
sie das Weltmeer, festigten die Erde darin und legten es im Kreis um
sie her, also daß es die meisten unmöglich dünken mag, hinüber zu
kommen. Da sprach Thridi: Sie nahmen auch seinen Hirnschädel und
bildeten den Himmel daraus, und erhoben ihn über die Erde mit vier
Ecken oder Hörnern, und unter jedes Horn setzten sie einen Zwerg;
die heißen Austri, Westri, Nordri, Sudri. Dann nahmen sie die
Feuerfunken, die von Muspelheim ausgeworfen umherflogen, und setzten
sie an den Himmel, oben sowohl als unten, um Himmel und Erde zu
erhellen. Sie gaben auch allen Lichtern ihre Stelle, einigen am
Himmel, andere lose unter dem Himmel und setzten einem jeden seinen
bestimmten Gang fest, wonach Tage und Jahre berechnet werden. So
wird in alten Sagen erzählt und so heißt es in der Wöluspa:
Die Sonne
wußte nicht wo sie Sitz hätte,
Der Mond wußte nicht was er Macht hätte,
Die Sterne wußten nicht wo sie Stätte hatten.
Da sagte Gangleri: Das sind merkwürdige Dinge, die ich da höre; ein großes Gebäude ist das und sehr künstlich gebildet. Wie war die Erde beschaffen? Har antwortete: Sie ist außen kreisrund und rings umher liegt das tiefe Weltmeer. Und längs den Seeküsten jenseits gaben sie den Riesengeschlechtern Wohnplätze, und nach innen rund um die Erde machten sie eine Burg wider die Anfälle der Riesen, und zu dieser Burg verwendeten sie die Augenbrauen Ymirs des Riesen und nannten die Burg Midgard. Sie nahmen auch sein Gehirn und warfen es in die Luft und machten die Wolken daraus, wie hier gesagt ist:
Aus Ymirs
Fleisch ward die Erde geschaffen,
Aus dem Schweiße die See,
Aus dem Gebein die Berge, die Bäume aus dem Haar,
Aus der Hirnschale der Himmel.
Aus den Augenbrauen schufen gütge Asen
Midgard den Menschensöhnen;
Aber aus seinem Hirn sind alle hartgemuten
Wolken erschaffen worden.
9. Da sprach Gangleri: Großes dünken sie mich vollbracht zu haben,
da sie Himmel und Erde geschaffen, die Sonne und das Gestirn
geordnet, und Tag und Nacht geschieden hatten; aber woher kamen die
Menschen, welche die Erde bewohnen? Har antwortete: Als Börs Söhne
am Seestrand gingen, fanden sie zwei Bäume. Sie nahmen die Bäume und
schufen Menschen daraus. Der erste gab Geist und Leben, der andere
Verstand und Bewegung, der dritte Antlitz, Sprache, Gehör und
Gesicht. Sie gaben ihnen auch Kleider und Namen: den Mann nannten
sie Ask und die Frau Embla, und von ihnen kommt das
Menschengeschlecht, welchem Midgard zur Wohnung verliehen ward.
Danach bauten sie sich eine Burg mitten in der Welt und nannten sie
Asgard. Da wohnten die Götter und ihr Geschlecht und manches trug
sich da zu, davon erzählt wird auf Erden und in den Lüften. In der
Burg ist ein Ort, der Hlidskialf heißt, und wenn Odin sich da auf
den Hochsitz setzt, so übersieht er alle Welten und aller Menschen
Tun und weiß alle Dinge, die da geschehen.
Seine Hausfrau
heißt Frigg, Fiörgwins Tochter, und von ihrem Geschlecht ist der
Stamm entsprungen, den wir das Asengeschlecht nennen, welches das
alte Asgard bewohnte und die Reiche, die dazu gehören, und das ist
das Geschlecht der Götter. Und darum mag er Allvater heißen, weil er
der Vater ist aller Götter und Menschen und alles dessen, was er
durch seine Kraft hervorgebracht hat. Jörd war seine Tochter und
seine Frau und von ihr gewann er einen erstgebornen Sohn: das ist
Asathor; ihm folgen Kraft und Stärke, daß er siegt über alles
Lebendige.
10. Norwi oder Narfi hieß ein Riese, der in Jötunheim wohnte; er
hatte eine Tochter, die hieß Nacht und war schwarz und dunkel wie
ihr Geschlecht. Sie ward einem Manne vermählt, der Naglfari hieß:
der beiden Sohn war Aud. Danach ward sie einem namens Onar (Annar)
vermählt; beider Tochter hieß Jörd. Ihr letzter Gemahl war Delling,
der vom Asengeschlecht war. Ihr Sohn Tag war schön und licht nach
seiner väterlichen Herkunft. Da nahm Allvater die Nacht und ihren
Sohn Tag und gab ihnen zwei Rosse und zwei Wagen und setzte sie an
den Himmel, daß sie damit alle zweimal zwölf Stunden um die Erde
fahren sollten. Die Nacht fährt voran mit dem Rosse, das Hrimfaxi (reifmähnig)
heißt, und jeden Morgen betaut es die Erde mit dem Schaum seines
Gebisses. Das Roß, womit Tag fährt, heißt Skinfaxi (lichtmähnig) und
Luft und Erde erleuchtet seine Mähne.
11. Da fragte Gangleri: Wie leitet er den Lauf der Sonne und des
Mondes? Har antwortete: Ein Mann hieß Mundilföri, er hatte zwei
Kinder. Sie waren hold und schön: da nannte er den Sohn Mond (Mani)
und die Tochter Sonne (Sol), und vermählte sie einem Manne, Glen
genannt. Aber die Götter, die ihr Stolz erzürnte, nahmen die
Geschwister und setzten sie an den Himmel, und hießen Sonne die
Hengste führen, die den Sonnenwagen zogen, welchen die Götter, um
die Welt zu erleuchten, aus den Feuerfunken geschaffen hatten, die
von Muspelheim geflogen kamen. Die Hengste hießen Arwak und Alswid,
und unter ihren Bug setzten die Götter zwei Blasebälge, um sie
abzukühlen, und in einigen Liedern heißen sie Eisenkühle. Mani
leitet den Gang des Mondes und herrscht über Neulicht und Vollicht.
Er nahm zwei Kinder von der Erde, Bil und Hiuki genannt, da sie von
dem Brunnen Byrgir kamen, und den Eimer auf den Achseln trugen; der
heißt Säg und die Eimerstange Simul. Widfinnr heißt ihr Vater; diese
Kinder gehen hinter dem Monde her, wie man noch von der Erde aus
sehen kann.
12. Da fragte Gangleri: Die Sonne fährt schnell, fast als wenn ihr
bange wäre. Sie könnte ihren Gang nicht mehr beschleunigen, wenn sie
für ihr Leben fürchtete. Da antwortete Har: Das ist nicht zu
verwundern, daß sie so schnell fährt, denn ihr Verfolger ist nah,
und sie kann sich nicht anders fristen, als daß sie ihre Fahrt
beschleunigt. Da fragte Gangleri: Wer ist es, der sie so in Angst
setzt? Har antwortete: Das sind zwei Wölfe; der eine, der sie
verfolgt, heißt Sköll: sie fürchtet, daß er sie greifen möchte; der
andere heißt Hati, Hrodwitnirs Sohn, der läuft vor ihr her und will
den Mond packen, was auch geschehen wird. Da fragte Gangleri: Von
welcher Herkunft sind diese Wölfe? Har antwortete: Ein Riesenweib
wohnt östlich von Midgard in dem Wald, der Jarnwid (Eisenholz)
heißt. In diesem Walde wohnen die Zauberweiber, die man Jarnwidiur
nennt. Jenes alte Riesenweib gebiert viele Riesenkinder, alle in
Wolfsgestalt und von ihr stammen die Wölfe. Es wird gesagt, der
Mächtigste dieses Geschlechts werde der werden, welcher Managarm
(Mondhund) heißt. Dieser wird mit dem Fleisch aller Menschen, die da
sterben, gesättigt; er verschlingt den Mond und überspritzt den
Himmel und die Luft mit seinem Blut; davon verfinstert sich der
Sonne Schein und die Winde brausen und sausen hin und her. So heißt
es in der Wöluspa:
Östlich sitzt
die Alte im Eisengebüsch
Und füttert dort Fenrirs Geschlechts.
Von ihnen allen wird eins das schlimmste:
Des Mondes Mörder übermenschlicher Gestalt.
Ihn mästet das Mark gefällter Männer,
Der Seligen Saal besudelt das Blut.
Der Sonne Schein dunkelt in kommenden Sommern;
Alle Wetter wüten; wißt ihr, was das bedeutet?
13. Da fragte Gangleri: Wo geht der Weg vom Himmel zur Erde? Har
antwortete und lachte: Nun hast du unklug gefragt. Hast du nicht
gehört, daß die Götter eine Brücke machten vom Himmel zur Erde, die
Bifröst heißt? Die wirst du gewiß gesehen haben; aber vielleicht
nennst du sie Regenbogen. Sie hat drei Farben und ist sehr stark und
mit mehr Kunst und Verstand gemacht als andere Werke. Aber so stark
sie auch ist, so wird sie doch zerbrechen, wenn Muspels Söhne
kommen, darüber zu reiten; und ihre Pferde müssen über große Ströme
schwimmen. Da sprach Gangleri: Nicht dünkte es mich, daß die Götter
die Brücke so fest gemacht haben, wenn sie zerbrechen mag; sie
konnten sie doch so fest machen als sie wollten. Da antwortete Har:
Die Götter haben keinen Tadel verdient wegen dieses Werkes. Bifröst
ist eine gute Brücke; aber kein Ding in der Welt mag bestehen
bleiben, wenn Muspels Söhne geritten kommen.
14. Da fragte Gangleri: Was tat Allvater, als Asgard gebaut war? Har
antwortete: Zuvörderst setzte er Richter ein, die über das Schicksal
der Leute entscheiden und die Einrichtungen in der Burg bewahren
sollten. Das war an dem Orte, der Idafeld heißt, mitten in der Burg.
Ihr erstes Geschäft war, einen Hof zu bauen, worin ihre Stühle
standen, zwölf an der Zahl und überdies ein Hochsitz für Allvater.
Es ist das beste und größte Gebäude der Welt, außen sowohl als innen
von lauterem Gold. Diese Stätte nennt man Gladsheim. Sie bauten noch
einen anderen Saal, da war die Wohnung der Göttinnen. Dieses Haus
war auch sehr schön und die Menschen nennen es Wingolf. Danach
legten sie Schmiedeöfen an, und machten sich dazu Hammer, Zange und
Amboß und hernach damit alles andere Werkgerät. Darauf verarbeiteten
sie Erz, Gestein und Holz und eine so große Menge des Erzes, das
Gold genannt wird, daß sie alles Hausgerät von Gold hatten. Und
diese Zeit heißt das Goldalter: es verschwand aber bei der Ankunft
gewisser Frauen, die aus Jötunheim kamen. Danach setzten sich die
Götter auf ihre Hochsitze und hielten Rat und Gericht, und
gedachten, wie die Zwerge belebt würden im Staub und in der Erde
gleich Maden im Fleisch. Die Zwerge waren zuerst erschaffen worden
und hatten Leben erhalten in Ymirs Fleisch und waren da Maden. Aber
nun nach dem Ausspruch der Götter erhielten sie Menschenwitz und
Menschengestalt und wohnten in der Erde und im Gestein. Modsognir
hieß einer dieser Zwerge und ein anderer Durin, wie es in der
Wöluspa heißt:
Da gingen die
Berater zu den Richterstühlen,
Hochheilge Götter hielten Rat,
Wer schaffen sollte der Zwerge Geschlecht
Aus des Meerriesen Blut und blauen Gliedern.
Da ward Modsognir der mächtigste
Dieser Zwerge, und Durin nach ihm.
Manche noch machten sie menschengleich
Der Zwerge von Erde wie Durin angab.
Und dieses, heißt es, sind die Namen dieser Zwerge:
Nyi und Nidi,
Nordri und Sudri,
Austri und Westri, Althiosr, Dwalin,
Nar und Nain, Niping, Dain,
Biwör, Bawör, Bömbör, Nori,
Ori, Onar, Oin, Modwitnir,
Wig und Gandalf, Windalf, Thorin,
Fili, Kili, Fundin, Wali,
Thror, Throin, Theck, Lit, Wit,
Nyr, Nyrad, Reck, Radswid.
Und diese sind auch Zwerge und wohnen im Gestein wie jene in der Erde:
Draupnir,
Dolgthwari, Hör, Hugstari,
Hlediolf, Gloin, Dori, Ori,
Duf, Andwari, Hepti, Fili,
Har, Siar.
Aber folgende
kamen von Swarins Hügel gen Aurwang auf
Jöruwall, und von ihnen stammt Lofars Geschlecht. Dies sind ihre
Namen:
Skirfir,
Wirfir, Skafid, Ai,
Alf, Ingi, Eikinskialdi,
Fal, Frosti, Fid, Ginnar.
15. Da fragte Gangleri: Wo ist der Götter vornehmster und heiligster
Aufenthalt? Har antwortete: Das ist bei der Esche Yggdrasil: da
sollen die Götter täglich Gericht halten. Da fragte Gangleri: Was
ist von diesem Ort zu berichten? Da antwortete Jafnhar: Diese Esche
ist der größte und beste von allen Bäumen: seine Zweige breiten sich
über die ganze Welt und reichen hinauf über den Himmel. Drei Wurzeln
halten den Baum aufrecht, die sich weit ausdehnen: die eine zu den
Asen, die andere zu den Hrimthursen, wo vormals Ginnungagap war; die
dritte steht über Niflheim, und unter dieser Wurzel ist Hwergelmir
und Nidhögg nagt von unten an ihr. Bei der andern Wurzel hingegen,
welche sich zu den Hrimthursen erstreckt, ist Mimirs Brunnen, worin
Weisheit und Verstand verborgen sind. Der Eigner des Brunnens heißt
Mimir, und ist voller Weisheit, weil er täglich von dem Brunnen aus
dem Giallarhorn trinkt. Einst kam Allvater dahin und verlangte einen
Trunk aus dem Brunnen, erhielt ihn aber nicht eher, bis er sein Auge
zum Pfand setzte. So heißt es in der Wöluspa:
Alles weiß
ich, Odin, wo dein Auge blieb:
In der vielbekannten Quelle Mimirs.
Met trinkt Mimir jeden Morgen
Aus Walvaters Pfand: wißt ihr was das bedeutet?
Unter der dritten Wurzel der Esche, die zum Himmel geht, ist ein Brunnen, der sehr heilig ist, Urds Brunnen genannt: da haben die Götter ihre Gerichtsstätte; jeden Tag reiten die Asen dahin über Bifröst, welche auch Asenbrücke heißt. Die Pferde der Asen haben diese Namen. Sleipnir, das beste, hat Odin; es hat acht Füße; das andere ist Glad; das dritte Gyllir, das vierte Gier, das fünfte Skeidbrimir, das sechste Silfrintopp, das siebente Sinir, das achte Gils, das neunte Falhofhir, das zehnte Gulltopp, das elfte Lettfeti. Baldurs Pferd ward mit ihm verbrannt. Thor geht zu Fuß zum Gericht und watet über folgende Flüsse:
Könnt und Örmt
und beide Kerlaug
Watet Thor täglich,
Wenn er hinfährt Gericht zu halten.
Bei der Esche Yggdrasil.
Denn die Asenbrücke steht all in Lohe,
Heilige Fluten flammen.
Da fragte Gangleri: Brennt denn Feuer auf Bifröst? Har antwortete: Das Rote, das du im Regenbogen siehst, ist brennendes Feuer. Die Hrimthursen und Bergriesen würden den Himmel ersteigen, wenn ein jeder über Bifröst gehen könnte, der da wollte. Viel schöne Plätze gibt es im Himmel, die alle unter dem Schutz der Götter stehen. So steht ein schönes Gebäude unter der Esche bei dem Brunnen: aus dem kommen die drei Mädchen, die Urd, Skuld und Werdani heißen. Diese Mädchen, welche aller Menschen Lebenszeit bestimmen, nennen wir Nornen. Es gibt noch andere Nornen, nämlich solche, die sich bei jedes Kindes Geburt einfinden, ihm seine Lebensdauer anzusagen. Einige sind von Göttergeschlecht, andere von Alfengeschlecht, noch andere vom Geschlecht der Zwerge, wie hier gesagt wird:
Gar
verschiednen Geschlechts scheinen mir die Nornen,
Und nicht eines Ursprungs.
Einige sind Asen, andere Alfen,
Die dritten Töchter Dwalins.
Da sprach Gangleri:
Wenn die Nornen über das Geschick der Menschen walten, so teilen sie
ihnen schrecklich ungleich aus. Die einen leben in Macht und
Überfluß, die anderen haben wenig Glück noch Ruhm; die einen leben
lange, die andern kurze Zeit. Har antwortete: Die guten Nornen und
die von guter Herkunft sind, schaffen Glück, und geraten einige
Menschen in Unglück, so sind die bösen Nornen schuld.
16. Da fragte Gangleri: Was ist weiter Merkwürdiges von der Esche zu
sagen? Har antwortete: Gar viel ist davon zu sagen. Ein Adler sitzt
in den Zweigen der Esche, der viel Dinge weiß, und zwischen seinen
Augen sitzt ein Habicht, Wedfölnir genannt. Ein Eichhörnchen, das
Ratatösk heißt, springt auf und nieder an der Esche und trägt
Zankworte hin und her zwischen dem Adler und Nidhögg. Und vier
Hirsche laufen umher an den Zweigen der Esche, und beißen die
Knospen ab. Sie heißen: Dain, Dwalin, Dunneir, Durathror. Und so
viel Schlangen sind in Hwergelmir bei Nidhögg, daß es keine Zunge
zählen mag. So heißt es hier:
Die Esche
Yggdrasil duldet Unbill
Mehr als Menschen wissen:
Der Hirsch weidet oben, hohl wird die Seite,
Unten nagt Nidhögg.
Ferner heißt es:
Mehr Gewürm liegt unter der Esche Wurzel
Als ein unkluger Affe meint:
Goin und Moin, Grafwitnirs Söhne,
Grabak und Grafwöllud;
Ofnir und Swafnir sollen ewig
Von der Wurzel Zweigen zehren.
Auch wird erzählt, daß die Nornen, welche an Urds Brunnen wohnen, täglich Wasser aus dem Brunnen nehmen und es zugleich mit dem Dunger, der um den Brunnen liegt, auf die Esche sprengen, damit ihre Zweige nicht dorren oder faulen. Dieses Wasser ist so heilig, daß alles, was in den Brunnen kommt, so weiß wird wie die Haut, die inwendig in der Eierschale liegt. So heißt es:
Begossen wird
die Esche, die Yggdrasil heißt,
Der geweihte Baum, mit weißem Nebel.
Davon kommt der Tau, der in die Täler fällt.
Immergrün steht er über Urds Brunnen.
Den Tau, der von
ihr auf die Erde fällt, nennt man Honigtau: davon ernähren sich die
Bienen. Auch nähren sich zwei Vögel in Urds Brunnen, die heißen
Schwäne und von ihnen kommt das Vogelgeschlecht.
17. Da sprach Gangleri: Große Dinge weißt du vom Himmel zu
berichten; aber was für andere Hauptgebäude gibt es noch außerdem an
Urds Brunnen? Har antwortete: Da sind noch manche merkwürdige
Stätten. So ist eine Wohnung, die Alfheim heißt. Da haust das Volk,
das man Lichtalfen nennt: aber die Schwarzalfen wohnen unten in der
Erde, und sind jenen ungleich von Angesicht, und noch viel
ungleicher in ihren Verrichtungen. Die Lichtalfen sind schöner als
die Sonne von Angesicht; aber die Schwarzalfen schwärzer als Pech.
Da ist auch eine Wohnung, die Breidablick heißt, und das ist die
schönste von allen. Ein anderes Gebäude heißt Glitnir: dessen Wände,
Säulen und Balken sind von rotem Gold und das Dach von Silber. Da
ist auch ein Bau, der Himinbiörg (Himmelsburg) heißt, der steht an
des Himmels Ende, da wo die Brücke Bifröst an den Himmel reicht; da
ist ferner ein großer Saal, der Walaskialf heißt: das ist Odins
Saal. Ihn schufen die Götter und deckten ihn mit schierem Silber. In
diesem Saal ist der Hochsitz, der Hlidskialf heißt, und wenn
Allvater auf diesem Hochsitz sitzt, so übersieht er die ganze Welt.
Am südlichen Ende des Himmels ist der Palast, der Gimle heißt, und
der schönste von allen ist und glänzender als die Sonne. Er wird
stehen bleiben, wenn sowohl Himmel als Erde vergehen, und alle guten
und rechtschaffenen Menschen aller Zeitalter werden ihn bewohnen. So
heißt es in der Wöluspa:
Einen Saal sah
ich lichter als die Sonne,
Mit Gold gedeckt, auf Gimles Höhn.
Da werden bewährte Leute wohnen,
Und ohne Ende der Ehren genießen.
Da fragte
Gangleri: Wer bewahrt diesen Palast, wenn Surturs Lohe Himmel und
Erde verbrennt? Har antwortete: Es wird gesagt, daß es einen Himmel
südlich und oberhalb von diesem gebe, welcher Andlang heiße. Und
noch ein dritter Himmel sei über ihnen, welcher Widblain heiße, und
in diesen Himmel, glauben wir, sei der Palast gelegen und nur von
den Lichtalfen glauben wir diesen Palast jetzt bewohnt.
18. Da fragte Gangleri: Woher kommt der Wind, der so stark ist, daß
er das Weltmeer aufrührt und Feuer anfacht? Aber so stark er ist,
kann ihn doch niemand sehen: wie ist das wunderlich beschaffen! Da
antwortete Har: Das kann ich dir wohl sagen. Am nördlichen Ende des
Himmels sitzt ein Riese, der Hräswelg (Leichenschwelger) heißt. Er
hat Adlergestalt und wenn er zu fliegen versucht, so entsteht der
Wind unter seinen Fittichen. Davon heißt es so:
Hräswelg
heißt, der an Himmels Ende sitzt,
Im Adlerkleid ein Jote.
Mit seinen Fittichen facht er den Wind
Über alle Völker.
19. Da fragte Gangleri: Wie kommt es, daß der Sommer heiß ist und
der Winter kalt? Har antwortete: Nicht soll ein kluger Mann also
fragen, denn hiervon weiß ein jeder Kunde zu geben. Wenn du aber
allein so unwissend bist, daß du dies nie gehört hast, so will ich
dir lieber zulassen, daß du einmal unweise fragst, als daß du länger
dessen unkundig bleibst, was ein jeder wissen sollte. Swasud heißt
der Vater des Sommers; der ist so wonnig, daß nach seinem Namen
alles süß heißt, was milde ist. Aber der Vater des Winters heißt
bald Windloni (Windbringer), bald Windswal (Windkühl), und dieses
Geschlecht ist grimmig und kaltherzig und der Winter artet ihm nach.
20. Da fragte Gangleri: Welches sind die Asen, an welche die
Menschen glauben sollen? Har antwortete: Es gibt zwölf göttliche
Asen. Da sprach Jafnhar: Die Asinnen sind nicht minder heilig und
ihre Macht nicht geringer. Da sprach Thridi: Odin ist der vornehmste
und älteste der Asen. Er waltet aller Dinge, und obwohl auch andere
Götter Macht haben, so dienen ihm doch alle wie Kinder ihrem Vater.
Seine Frau ist Frigg; sie weiß aller Menschen Geschick, obgleich sie
es keinem vorhersagt. So wird berichtet, daß Odin selbst zu dem Asen
sagte, der Loki heißt: Irr bist du, Loki, daß du selber anführst Die
schnöden Schandtaten. Wohl weiß Frigg alles was sich begibt Ob sie
schon es nicht sagt. Odin heißt Allvater, weil er aller Götter Vater
ist, und Walvater, weil alle seine Wunschsöhne sind, die auf dem
Walplatz fallen. Sie werden in Walhall und Wingolf aufgenommen und
heißen da Einherjer. Er heißt auch Hangagott oder Haptagott,
Farmagott und nannte sich noch mit vielen Namen, als er zu König
Geirröd kam.
Ich heiße
Grimur und Gangleri,
Herian, Hialmberi,
Theck, Thridi, Thud, Udr,
Helblindi und Har.
Sad, Swipal und Sanngetal,
Herteit und Hnikar,
Bileig und Baleig, Bölwerk, Fiölnir,
Grimnir, Glapswid, Fiölswid.
Sidhött, Sidskegg, Siegvater, Hnikud,
Allvater, Atrid, Farmatyr,
Oski, Omi, Jafnhar, Biflindi,
Gondlir, Harbard.
Swidur, Swidrir, Jalk, Kialar, Widur,
Thror, Yggr, Thund, Wak, Skilfing,
Wafud, Hroptatyr, Gaut, Weratyr.
Da sprach Gangleri: Erschrecklich viel Namen habt ihr ihm gegeben, und wohl glaube ich, daß er sehr klug sein müsse, der weiß und angeben kann, welche Begebenheiten einen jeden dieser Namen veranlaßt haben. Da antwortete Har: Wohl gehört Klugheit dazu, das genau zu erörtern; aber doch ist davon in der Kürze zu sagen, daß zu den meisten dieser Benennungen Veranlassung gab, daß so vielerlei Sprachen in der Welt sind, denn alle Völker glaubten, seinen Namen nach ihrer Zunge einrichten zu müssen, um ihn damit anzurufen und anzubeten. Ander Veranlassungen zu diesen Namen müssen in seinen Fahrten gesucht werden, die in alten Sagen berichtet werden, und du magst mitnichten ein kluger Mann heißen, wenn du nicht von diesen merkwürdigen Begebenheiten zu erzählen weißt.
21. Da fragte Gangleri: Wie heißen die Namen der anderen Asen? Und was haben sie Großes angerichtet? Har antwortete: Thor ist der vornehmste von ihnen. Er heißt Asathor oder Ökuthor, und ist der stärkste aller Götter und Menschen. Ihm gehört das Reich, das Thrudwang genannt wird, aber sein Palast heißt Bilskirnir. Dieser Palast hat fünfhundertundvierzig Gemächer und ist das größte Gebäude, das je gemacht worden ist. So heißt es in Grimnismal:
Fünfhundert
Gemächer und viermal zehn
Weiß ich in Bilskirnirs Bau.
Von allen Häusern, die Dächer haben,
Glaub ich meines Sohns das größte.
Thor hat zwei
Böcke, sie heißen Tanngniost und Tanngrisnir (Zahnknistrer und
Zahnknirscher) und einen Wagen, worin er fährt. Die Böcke ziehen den
Wagen: darum heißt er Ökuthor. Er hat auch drei Kleinode: den Hammer
Mjölnir, den Hrimthursen und Bergriesen kennen, wenn er geschwungen
wird; was nicht zu verwundern ist, denn er hat ihren Vätern und
Freunden manchen Kopf damit zerschlagen. Sein anderes Kleinod ist
der Kraftgürtel, Megingiardar genannt: wenn er den um sich spannt,
so wächst ihm die Asenkraft noch um die Hälfte. Noch ein drittes
Ding hat er, in dem großer Wert liegt, das sind seine
Eisenhandschuhe: die kann er nicht missen, um den Schaft des Hammers
zu fassen. Und niemand ist so klug, daß er alle seine Großtaten zu
erzählen wüßte. Ich könnte so manche Nachricht von ihm berichten,
daß der Tag vergehen würde, ehe alles gesagt wäre, was ich weiß.
22. Da sprach Gangleri: Ich möchte auch von den anderen Asen Kunde
hören. Har sprach: Odins anderer Sohn ist Baldur. Von ihm ist nur
Gutes zu sagen: es ist der beste und wird von allen gelobt. Er ist
so schön von Antlitz und so glänzend, daß ein Schein von ihm
ausgeht. Ein Kraut ist so licht, daß es mit Baldurs Augenbrauen
verglichen wird, es ist das lichteste aller Kräuter: davon magst du
auf die Schönheit seines Haars sowohl als seines Leibes schließen.
Er ist der weiseste, beredteste und mildeste von allen Asen. Er hat
die Eigenschaft, daß niemand seine Urteile schelten kann. Er bewohnt
im Himmel die Stätte, welche Breidablick heißt. Da wird nichts
Unreines geduldet, wie hier gesagt wird:
Die siebente
ist Breidablick, da hat Baldur sich
Die Halle erhöht
In jener Gegend, wo ich der Greuel
Die wenigsten lauschen weiß.
23. Der dritte Ase ist Niörd genannt, er bewohnt im Himmel die
Stätte, welche Noatun heißt. Er beherrscht den Gang des Windes und
stillt Meer und Feuer; ihn ruft man zur See und bei der Fischerei
an. Er ist so reich und vermögend, daß er allen, welche ihn darum
anrufen. Gut, liegendes sowohl als fahrendes, gewähren mag. Er wurde
in Wanaheim erzogen, und die Wanen gaben ihn den Göttern zum Geisel
und nahmen dafür von den Asen zum Geisel den Hönir: so verglichen
sich durch ihn die Götter mit den Wanen. Niörds Frau heißt Skadi und
ist die Tochter des Riesen Thiassi. Skadi wollte wohnen, wo ihr
Vater gewohnt hatte, nämlich auf den Felsen in Thrymheim: aber Niörd
wollte sich bei der See aufhalten. Da verglichen sie sich dahin, daß
sie neun Nächte in Thrymheim und dann andere neun (drei) in Noatun
sein wollten. Aber da Niörd von den Bergen nach Noatun zurück kam,
sang er:
Leid sind mir
die Berge; nicht lange war ich dort,
Nur neun Nächte.
Der Wölfe Heulen dauchte mich widrig
Gegen der Schwäne Singen.
Aber Skadi sang:
Nicht schlafen
könnt ich am Ufer der See
Vor der Vögel Lärm;
Da weckte mich vom Wasser kommend
Jeden Morgen die Möwe.
Da zog Skadi nach den Bergen und wohnte in Thrymheim. Da jagt sie oft auf Schneeschuhen mit ihrem Bogen nach Tieren. Sie heißt Schneeschuhgöttin oder Öndurdis. Von ihr heißt es:
Thrymheim
heißt die sechste, wo Thiassi hauste,
Jener mächtige Jote;
Nun bewohnt Skadi, die scheue Götterbraut,
Des Vaters alte Veste.
24. Niörd in Noatun zeugte seitdem zwei Kinder. Der Sohn hieß Freyr
und die Tochter Freyja. Sie waren schön von Antlitz und mächtig.
Freyr ist der trefflichste unter den Asen. Er herrscht über Regen
und Sonnenschein und das Wachstum der Erde und ihn soll man anrufen
um Fruchtbarkeit und Frieden. Freyja ist die herrlichste der
Asinnen. Sie hat die Wohnung im Himmel, die Folkwang heißt, und wenn
sie zum Kampf zieht, gehört die Hälfte der Gefallenen ihr und die
Hälfte Odin, wie hier gesagt ist:
Folkwang ist
die neunte: da hat Freyja Gewalt
Die Sitze zu ordnen im Saal.
Der Walstatt Hälfte hat sie täglich zu wählen;
Odin hat die andre Hälfte.
Ihr Saal Sesrumnir
ist groß und schön. Wenn sie ausfährt, sind zwei Katzen vor ihren
Wagen gespannt. Sie ist denen gewogen, welche sie anrufen, und von
ihr hat der Ehrenname den Ursprung, daß man vornehme Weiber Frauen
(Frovor) nennt. Sie liebt den Minnesang und es ist gut, sie in
Liebessachen anzurufen.
25. Da sprach Gangleri: Groß scheint mir die Macht dieser Asen und
nicht zu verwundern ist es, daß so viel Gewalt euch innewohnt, da
ihr so gute Kunde habt von den Göttern und wißt, wen von ihnen man
in jedem Falle anzurufen hat. Sind aber nicht noch mehr Götter? Har
versetzte: Da ist noch ein Ase, der Tyr heißt. Er ist sehr kühn und
mutig und herrscht über den Sieg im Krieg: darum ist es gut, daß
Kriegsmänner ihn anrufen. Wer kühner ist als andere und vor nichts
sich scheut, von dem sagt man sprichwörtlich, er sei tapfer wie Tyr.
Er ist auch so weise, daß man von Klugen sagt, sie seien weise wie
Tyr. Ein Beweis seiner Kühnheit ist dies: Als die Asen den
Fenriswolf u berredeten, sich mit dem Bande Gleipnir binden zu
lassen, traute er ihnen nicht, daß sie ihn wieder lösen würden, bis
sie zum Unterpfand Tyrs Hand in seinen Mund legten. Und als die Asen
ihn nicht wieder lösen wollten, biß er ihm die Hand an der Stelle
ab, die nun Wolfsglied heißt. Seitdem ist Tyr einhändig, gilt aber
den Menschen nicht für einen Friedensstifter.
26. Ein anderer Ase heißt Bragi. Er ist berühmt durch Beredsamkeit
und Wortfertigkeit und sehr geschickt in der Skaldenkunst, die nach
ihm Bragur genannt wird, so wie auch diejenigen nach seinem Namen
Bragurleute heißen, die redefertiger sind als andere Männer und
Frauen. Seine Frau heißt Idun: sie verwahrt in einem Gefäß die
Apfel, welche die Götter genießen sollen, wenn sie altern; denn sie
werden alle jung davon, und das mag währen bis zur Götterdämmerung.
Da sprach Gangleri: Mich dünkt, die Götter haben der Treue und
Sorgsamkeit Iduns große Dinge anvertraut. Da sprach Har und
lächelte: Beinahe wäre es einstmals schlimm damit ergangen: ich
könnte dir davon wohl erzählen; aber du sollst erst die Namen der
anderen Asen hören.
27. Heimdall heißt einer, der auch der weiße Ase genannt wird. Er
ist groß und hehr und von neun Mädchen, die Schwestern waren,
geboren. Er heißt auch Hallinskidi und Gullintanni, weil seine Zähne
von Gold sind. Sein Pferd heißt Gulltopp. Er wohnt auf Himinbiörg
bei Bifröst. Er ist der Wächter der Götter und wohnt dort an des
Himmels Ende, um die Brücke vor den Bergriesen zu bewahren. Er
bedarf weniger Schlaf als ein Vogel und sieht sowohl bei Nacht als
bei Tag hundert Tagreisen weit; er hört auch das Gras in der Erde
und die Wolle auf den Schafen wachsen, mithin auch alles, was einen
stärkern Laut gibt. Er hat eine Trompete, die Giallarhorn heißt, und
bläst er hinein, so wird es in allen Welten gehört. Heimdalls
Schwert heißt Haupt. Von ihm heißt es:
Himinbiörg ist
die achte, wo Heimdall soll
Der Weihestatt walten.
Der Götterwächter schlürft in schöner Wohnung
Selig den süßen Met.
Auch sagt er selbst in Heimdalls Gesang:
Ich bin neun Mütter Sohn und von neun
Schwestern geboren.
28. Hödur heißt
einer der Asen. Er ist blind, aber sehr stark, und die Götter
möchten wohl wünschen, daß sie seinen Namen nicht nennen durften,
denn nur allzu lange wird seiner Hände Werk Göttern und Menschen im
Gedächtnis bleiben.
29. Widar heißt einer, der auch der schweigende Ase genannt wird. Er
hat einen dicken Schuh, und ist der stärkste nach Thor. Auf ihn
vertrauen die Götter in allen Gefahren.
30. Ali oder Wali heißt einer der Asen, Odins Sohn und der Rinda. Er
ist kühn in der Schlacht und ein guter Schütze.
31. Uller heißt ein Ase, Sohn der Sif und Thors Stiefsohn. Er ist
ein so guter Bogenschütze und Schneeschuhläufer, daß niemand sich
mit ihm messen kann. Er ist schön von Angesicht und kriegerisch von
Gestalt. Bei Zweikämpfen soll man ihn anrufen.
32. Forseti heißt der Sohn Baldurs und der Nanna, der Tochter Neps.
Er hat im Himmel den Saal, der Glitnir heißt, und alle, die sich in
Rechtsstreitigkeiten an ihn wenden, gehen verglichen nach Hause. Das
ist der beste Richterstuhl für Götter und Menschen. Es heißt von
ihm:
Glitnir ist
die zehnte: auf goldnen Säulen ruht
Des Saales Silberdach.
Da thront Forseti den langen Tag
Und schlichtet allen Streit.
33. Noch zählt man einen zu den Asen, den einige den Verlästerer der
Götter, den Anstifter alles Betrugs, und die Schande der Götter und
Menschen nennen. Sein Name ist Loki oder Loptr, und sein Vater der
Riese Farbauti; seine Mutter heißt Laufey oder Nai; seine Bru der
sind Bileist und Helblindi. Loki ist schmuck und schön von Gestalt,
aber böse von Gemüt und sehr unbeständig. Er übertrifft alle anderen
in Schlauheit und jeder Art von Betrug. Er brachte die Asen in
manche Verlegenheit; doch half er ihnen oft auch durch seine
Klugheit wieder heraus. Seine Frau heißt Sigyn, und deren Sohn Nari
oder Narwi.
34. Loki hatte
noch andere Kinder. Angurboda hieß ein Riesenweib in Jötunheim: mit
der zeugte Loki drei Kinder: das erste war der Fenriswolf, das
andere Jörmungand, die Midgardschlange, das dritte war Hel. Als aber
die Götter erfuhren, daß diese drei Geschwister in Jötunheim erzogen
würden, und durch Weissagung erkannten, daß ihnen von diesen
Geschwistern Verrat und großes Unheil bevorstehe, indem sie Böses
von Mutter-, aber noch schlimmeres von Vaterswegen von ihnen
erwarten zu müssen glaubten, schickte Allvater die Götter, daß sie
diese Kinder nähmen und zu ihm brächten. Als sie aber zu ihm kamen,
warf er die Schlange in die tiefe See, welche alle Länder umgibt, wo
die Schlange zu solcher Größe erwuchs, daß sie mitten im Meer um
alle Länder liegt und sich in den Schwanz beißt. Die Hel aber warf
er hinab nach Niflheim und gab ihr Gewalt über neun Welten, daß sie
denen Wohnungen anwiese, die zu ihr gesendet würden: solchen
nämlich, die vor Alter oder an Krankheiten starben. Sie hat da eine
große Wohnstätte; das Gehege umher ist außerordentlich hoch und mit
mächtigen Gittern verwahrt. Ihr Saal heißt Elend, Hunger ihre
Schüssel, Gier ihr Messer, Träg ihr Knecht, Langsam ihre Magd,
Einsturz ihre Schwelle, ihr Bett Kümmernis und ihr Vorhang dräuendes
Unheil. Sie ist halb schwarz, halb menschenfarbig, also kenntlich
genug durch grimmiges, furchtbares Aussehen. Den Wolf erzogen die
Götter bei sich und Tyr allein hatte den Mut, zu ihm zu gehen und
ihm zu Essen zu geben. Und als die Götter sahen, wie sehr er jeden
Tag wuchs, und alle Vorhersagen meldeten, daß er zu ihrem Verderben
bestimmt sei, da faßten die Asen den Beschluß, eine sehr starke
Fessel zu machen, welche sie Läding hießen. Die brachten sie dem
Wolf und baten ihn, seine Kraft an der Kette zu versuchen. Der Wolf
hielt das Band nicht für überstark und ließ sie damit machen, was
sie wollten. Aber das erstemal, daß der Wolf sich streckte, brach
das Band und er war frei von Läding. Darauf machten die Asen eine
andere noch halbmal stärkere Fessel, die sie Droma nannten. Sie
baten den Wolf, auch diese Kette zu versuchen, und sagten, er wurde
seiner Kraft wegen sehr berühmt werden, wenn ein so starkes
Geschmeide ihn nicht halten könnte. Der Wolf bedachte, daß dieses
Band viel stärker sei, daß aber auch seine Kraft gewachsen sei, seit
er das Band Läding gebrochen hatte; zugleich erwog er, daß er sich
entschließen müsse, einige Gefahr zu bestehen, wenn er berühmt
werden wolle. Er ließ sich also das Band anlegen. Als die Asen damit
fertig waren, schüttelte sich der Wolf und reckte sich und schlug
das Band an den Boden, so daß die Stücke weit davon flogen. So brach
er sich los von Droma. Es wurde danach sprichwörtlich, sich aus
Läding zu lösen, oder aus Droma zu befreien, wenn von einer
schwierigen Sache die Rede ist. Danach fürchteten die Asen, daß sie
den Wolf nicht wurden binden können. Da schickte Allvater den
Jüngling Skirnir, der Freys Diener war, zu einigen Zwergen in
Schwarzalfenheim, und ließ das Band Gleipnir verfertigen. Dieses war
aus sechserlei Dingen gemacht: aus dem Schall des Katzentritts, dem
Bart der Weiber, den Wurzeln der Berge, den Sehnen der Bären, der
Stimme der Fische und dem Speichel der Vögel. Hast du auch diese
Geschichte nie gehört, so magst du doch bald finden, daß sie wahr
ist und wir dir nicht lügen, wenn da du wohl bemerkt hast, daß die
Frauen keinen Bart, die Berge keine Wurzeln haben und der
Katzentritt keinen Schall gibt, so magst du mir wohl glauben, daß
das übrige ebenso wahr ist, was ich dir gesagt habe, wenn du auch
von einigen dieser Dinge keine Erfahrung hast. Da sprach Gangleri:
An den Dingen, die du zum Beispiel anführst, kann ich allerdings die
Wahrheit erkennen; aber wie war das Band beschaffen? Har antwortete:
Das kann ich dir wohl sagen: das Band war schlicht und weich wie ein
Seidenband und so stark und fest, wie du sogleich hören sollst. Als
das Band den Asen gebracht wurde, dankten sie dem Boten für das wohl
verrichtete Geschäft und fuhren dann auf die Insel Lyngwi im See
Amswartnir, riefen den Wolf herbei, zeigten ihm das Seidenband und
baten ihn, es zu zerreißen. Sie sagten, es wäre wohl etwas stärker,
als es nach seiner Dicke das Aussehen habe. Sie gaben es einer dem
anderen und versuchten ihre Stärke daran, allein es riß nicht. Doch
sagten sie, der Wolf werde es wohl zerreißen mögen. Der Wolf
antwortete: Um dieses Band dünkt es mich so, als wenn ich wenig Ehre
damit einlegen möchte, wenn ich auch eine so starke Fessel
entzweireiße; falls es aber mit List und Betrug gemacht ist,
obgleich es so schwach scheint, so kommt es nicht an meine Füße. Da
sagten die Asen, er möge leicht ein dünnes Seidenband zerreißen, da
er zuvor die schweren Eisenfesseln zerbrochen habe. Wenn du aber
dieses Band nicht zerreißen kannst, so haben die Götter sich nicht
vor dir zu fürchten und wir werden dich dann lösen. Der Wolf
antwortete: Wenn ihr mich so fest bindet, daß ich mich selbst nicht
lösen kann, so spottet ihr meiner, und es wird mir spät werden,
Hilfe von euch zu erlangen: darum bin ich nicht gesonnen, mir dieses
Band anlegen zu lassen. Ehe ihr mich aber der Feigheit zeiht, so
lege einer von euch seine Hand in meinen Mund zum Unterpfand, daß es
ohne Fälsch hergeht. Da sah ein Ase den andern an, die Gefahr
däuchte sie doppelt groß und keiner wollte seine Hand herleihen, bis
Tyr zuletzt seine Rechte darbot und sie dem Wolfe in den Mund legte.
Und da der Wolf sich reckte, da erhärtete das Band, und je mehr er
sich anstrengte, desto stärker ward es. Da lachten alle außer Tyr,
denn er verlor seine Hand. Als die Asen sahen, daß der Wolf völlig
gebunden sei, nahmen sie den Strick am Ende der Kette, der Gelgia
hieß, und zogen ihn durch einen großen Felsen, Giöll genannt, und
festigten den Felsen tief im Grund der Erde. Auch nahmen sie noch
ein anderes Felsenstück, Thwiti genannt, das sie noch tiefer in die
Erde versenkten und das ihnen als Widerhalt diente. Der Wolf riß den
Rachen furchtbar auf, schnappte nach ihnen und wollte sie beißen;
aber sie steckten ihm ein Schwert in den Gaumen, daß das Heft wider
den Unterkiefer, und die Spitze gegen den Oberkiefer stand: damit
ist ihm das Maul gesperrt. Er heult entsetzlich, und Geifer rinnt
aus seinem Maul und wird zu dem Fluß, den man Wan nennt. Also liegt
er bis zur Götterdämmerung. Da sprach Gangleri: Wahrlich, üble
Kinder zeugte Loki, und dieses ganze Geschlecht ist furchtbar. Aber
warum töteten die Asen den Wolf nicht, da sie doch Übles von ihm
erwarteten? Har antwortete: die Asen halten ihre Heiligtümer und
Freistätten so sehr in Ehren, daß sie mit dem Blut des Wolfs sie
nicht beflecken wollten, obgleich Weissagungen verkündeten, daß er
Odins Mörder werden solle.
35. Da fragte Gangleri: Welches sind die Asinnen? Har antwortete:
Frigg ist die vornehmste: Ihr gehört der Palast, der Fensal heißt,
und überaus schön ist. Eine andere heißt Saga, die Söckwabeck
bewohnt, das auch eine große Halle ist. Die dritte ist Eir, die
beste der Ärztinnen. Die vierte Gefion: sie ist unvermählt und ihr
gehören alle, die unvermählt sterben. Fulla, die fünfte, ist auch
Jungfrau, und trägt loses Haar und ein Goldband ums Haupt. Sie trägt
Friggs Schmuckkästchen, wartet deren Fußbekleidung und nimmt Teil an
ihrem heimlichen Rat. Freyja ist die vornehmste nach Frigg; sie ist
einem Manne vermählt, der Odhr heißt. Deren Tochter heißt Hnoss: die
ist so schön, daß nach ihrem Namen alles (hnossir) genannt wird, was
schön und kostbar ist. Odhr zog fort auf ferne Wege, und Freyja
weint ihm nach und ihre Zähren sind rotes Gold. Freyja hat viele
Namen: die Ursache ist, daß sie sich oft andere Namen gab, als sie
Odhr zu suchen zu unbekannten Völkern fuhr. Sie heißt Mardöll, Hörn,
Gefn und Syr. Freyja besitzt den Halsschmuck, Brisingamen genannt.
Sie heißt auch Wanadis (Wanengöttin). Die siebente heißt Siöfn; sie
sucht die Gemüter der Menschen, der Männer wie der Frauen, zur
Zärtlichkeit zu wenden, und nach ihrem Namen ist die Liebe Siafni
genannt. Die achte, Lofn, ist den Anrufenden so mild und gütig, daß
sie von Allvater oder Frigg Erlaubnis hat, Männer und Frauen zu
verbinden, was auch sonst für Hindernis oder Schwierigkeit
entgegenstehe. Daher ist nach ihrem Namen der Urlaub (lof) genannt,
so wie alles was Menschen loben und preisen. Die neunte ist Wara;
sie hört die Eide und Verträge, welche Männer und Frauen zusammen
schließen und straft diejenigen, welche sie brechen. Wara ist weise
und erforscht alles, so daß ihr nichts verborgen bleibt; daher kommt
die Redensart, daß man eines Dinges gewahr werde, wenn man es in
Erfahrung bringt. Die zehnte ist Syn, welche die Türen der Halle
bewahrt und denen verschließt, welche nicht eingehen sollen; ihr ist
auch der Schutz derer befohlen, die bei Gericht eine Sache in Abrede
stellen, daher die Redensart: Abwehr (Syn) ist vorgeschoben, wenn
man die Schuld leugnet. Die elfte ist Hlin, die solchen zum Schutz
bestellt ist, welche Frigg vor einer Gefahr behüten will. Daher das
Sprichwort: Wer sich in Nöten retten will, lehnt sich an (hieinir).
Die zwölfte ist Snotra; sie ist weise und feinsinnig: nach ihr
heißen alle snotr, sowohl Männer als Frauen, die klug und feinsinnig
sind. Die dreizehnte ist Gna, welche Frigg in ihren Geschäften nach
allen Weltteilen schickt. Sie hat ein Pferd, das durch Luft und Flut
rennt und Hofhwarfnir heißt. Einst geschah es, daß sie von etlichen
Wanen gesehen ward, als sie durch die Luft ritt. Da sprach einer:
Was fliegt da,
was fährt da,
Was lenkt durch die Luft?
Sie
antwortete:
Ich fliege nicht, ich fahre nicht,
Ich lenke durch die Luft
Auf Horhwarfnir, den Hamskerpir
Zeugte mit Gardrowa.
Nach Gnas Namen
gebraucht man den Ausdruck gnäfa von allem Hochfahrenden. Auch Sol
und Bil zählen zu den Asinnen. Ihres Ursprungs ist zuvor gedacht.
36. Noch andere sind, die in Walhall dienen, das Trinken bringen,
das Tischzeug und die Älschalen verwahren sollen. In Grimnismal wird
ihrer so gedacht:
Hrist und Mist
sollen das Horn mir reichen;
Skeggiöld und Skögul,
Hlöck (Hianka) und Herflötur, Hild und Thrud,
Göll und Geirahöd,
Randgrid und Radgrid und Reginleif
Schenken den Einherjern Ael.
Diese heißen
Walküren. Odin sendet sie zu jedem Kampf. Sie wählen die Fallenden
und walten des Sieges. Gudr und Rota und die jüngste der Nomen,
welche Skuld heißt, reiten beständig, den Wal zu kiesen und des
Kampfes zu walten. Auch Jörd, die Mutter Thors, und Rind, Walis
Mutter, zählen zu den Asinnen.
37. Gymir hieß ein Mann, und seine Frau Örboda; sie war
Bergriesengeschlechtes. Deren Tochter ist Gerd, die schönste aller
Frauen. Eines Tages war Freyr auf Hlidskialf gegangen und sah über
alle Welten. Als er nach Norden blickte, sah er in einem Gehege ein
großes und schönes Haus. Zu diesem Hause ging ein Mädchen, und als
sie die Hände erhob, um die Ture zu öffnen, da leuchteten von ihren
Händen Luft und Wasser, und alle Welten strahlten von ihr wieder.
Und so rächte sich seine Vermessenheit an ihm, sich an diese heilige
Stätte zu setzen, daß er harmvoll hinwegging. Und als er heim kam,
sprach er nicht, auch mochte er weder schlafen noch trinken und
niemand wagte es, das Wort an ihn zu richten. Da ließ Niörd den
Skirnir, Freyrs Diener, zu sich rufen und bat ihn, zu Freyr zu
gehen, mit ihm zu reden und zu fragen, warum er so zornig sei, daß
er mit niemand reden wolle. Skirnir sagte, er wolle gehen, aber
ungern, denn er versehe sich übler Antwort von ihm. Und als er zu
Freyr kam, fragte er, warum Freyr so finster sei und mit niemand
rede. Da antwortete Freyr und sagte, er habe ein schönes Weib
gesehen und um ihretwillen sei er so harmvoll, daß er nicht länger
leben möge, wenn er sie nicht haben solle: "Und nun sollst du fahren
und für mich um sie bitten, und sie mit dir heimführen, ob ihr Vater
wolle oder nicht, und will ich dir das wohl lohnen." Da antwortete
Skirnir und sagte, er wolle die Botschaft werben, wenn ihm Freyr
sein Schwert gebe. Das war ein so gutes Schwert, daß es von selbst
focht. Und Freyr ließ es ihm daran nicht mangeln und gab ihm das
Schwert. Da fuhr Skirnir und warb um das Mädchen für ihn und erhielt
die Verheißung, nach neun (drei) Nächten wolle sie an den Ort
kommen, der Barrey heiße, und mit Freyr Hochzeit halten. Und als
Skirnir dem Freyr sagte, was er ausgerichtet habe, da sang er so:
Lang ist eine
Nacht, länger sind zweie,
Wie mag ich dreie dauern?
Oft schien ein Monat mich minder lang
Als eine halbe Nacht des Harrens.
Das ist die
Ursache, warum Freyr kein Schwert hatte, als er mit Beli stritt und
ihn mit einem Hirschhorn erschlug. Da sprach Gangleri: Es ist sehr
zu verwundern, daß ein solcher Häuptling, wie Freyr ist, sein
Schwert hingab, ohne ein gleich gutes zu behalten. Ein
erschrecklicher Schade war ihm das, als er mit jenem Beli kämpfte,
und ich glaube gewiß, daß ihn da seiner Gabe gereute. Da antwortete
Har: Es lag wenig daran, als er dem Beli begegnete, denn Freyr hätte
ihn mit der Hand to ten können; aber es kann geschehen, daß es den
Freyr übler dünkt, sein Schwert zu missen, wenn Muspels Söhne zu
streiten kommen.
38. Da sprach Gangleri: Du sagtest, daß alle die Männer, die im
Kampf gefallen sind von Anbeginn der Welt, zu Odin nach Walhall
gekommen seien. Was hat er ihnen zum Unterhalt zu geben? Denn mich
dünkt, das muß eine gewaltige Menge sein. Da antwortete Har: Es ist
wahr, was du sagst: eine gewaltige Menge ist da, und noch viel mehr
müssen ihrer werden; aber doch wird es scheinen, ihrer seien viel zu
wenig, wenn der Wolf kommt. Und niemals ist die Volksmenge in
Walhall so groß, daß ihr das Fleisch des Ebers nicht genügen möchte,
der Sährimnir hieß. Jeglichen Tag wird er gesotten und ist am Abend
wieder heil. Doch dünkt mich wahrscheinlich, daß dir wenige auf die
Frage, die du jetzt gefragt hast, richtig Bescheid sagen werden.
Andhrimnir heißt der Koch und der Kessel Eldhrimnir, wie hier gesagt
ist:
Andhrimnir
läßt in Eldhrimnir
Sährimnir sieden,
Das beste Fleisch; doch erfahren wenige,
Wieviel der Einherjer essen.
Da fragte Gangleri: Genießt Odin von derselben Speise wie die Einherjer? Har antwortete: Die Speise, die auf seinem Tische steht, gibt er seinen beiden Wölfen, welche Geri und Freki heißen, und keiner Kost bedarf er; Wein ist ihm Trank und Speise, wie es heißt:
Geri und Freki
füttert der krieggewohnte
Herrliche Heervater,
Da nur von Wein der waffenhehre
Odin ewig lebt.
Zwei Raben sitzen auf seinen Schultern und sagen ihm ins Ohr alle Dinge, die sie hören und sehen; sie heißen Hugin und Munin. Er sendet sie morgens aus, alle Welten zu umfliegen, und mittags kehren sie zurück und so wird er mancher Dinge gewahr. Die Menschen nennen ihn darum Rabengott. Davon wird gesagt:
Hugin und
Munin müssen jeden Tag
Über die Erde fliegen.
Ich fürchte, daß Hugin nicht nach Hause kehrt;
Doch sorg ich mehr um Munin.
39. Da fragte Gangleri: Was haben die Einherjer zu trinken, das
ihnen so genügen mag als ihre Speise? Oder wird da Wasser getrunken?
Da antwortete Har:
Wunderlich fragst du nun, als ob Allvater Könige, Jarle und andere
herrliche Männer zu sich entbieten wurde und gäbe ihnen Wasser zu
trinken. Ich weiß gewiß, daß manche nach Walhall kommen, die meinen
sollten, einen Trunk Wassers teuer erkauft zu haben, wenn ihnen da
nichts Besseres geboten wurde, nachdem sie Wunden und tödliche
Schmerzen erduldet haben. Aber viel anderes kann ich dir davon
berichten. Die Ziege, die Heidrun heißt, steht über Walhall und
weidet an den Zweigen des vielberühmten Baumes, der Lärad genannt
wird, und von ihrem Euter fließt so viel Met; daß sie täglich ein
Gefäß füllt, das so groß ist, daß alle Einherjer davon vollauf zu
trinken haben. Da sprach Gangleri: Das ist eine gewaltig treffliche
Ziege und ein ausbündig guter Baum muß das sein, an dem sie weidet.
Da versetzte Har: Noch merkwürdiger jedoch ist der Hirsch
Eikthyrnir, der in Walhall steht und an den Zweigen desselben Baumes
nagt; und von seinem Gehörn fallen so viel Tropfen herab, daß sie
nach Hwergelmir fließen, und daraus folgende Ströme entspringen:
Sid, Wid, Sekin, Ekin, Swöl, Gunnthro, Fiörm, Fimbulthul, Gipul,
Göpul, Gömul, Geirwimul; diese umfließen der Asen Gebiet. Aber noch
diese werden genannt: Thyn, Win, Thöll, Böll, Grad, Gunnthrain, Nyt,
Naut, Nönn, Hrönn, Wina, Wegswin, Thiodnuma.
40. Da sprach Gangleri: Dies sind wunderliche Dinge, die du mir da
sagst. Ein furchtbar großes Haus muß Walhall sein und ein großes
Gedränge mag da oft an den Turen entstehen. Da versetzte Har: Warum
fragst du nicht, wie viel Türen an Walhall seien und von welcher
Größe? Wenn du das sagen hörst, wirst du gestehen, daß es wunderlich
wäre, wenn nicht ein jeder aus und eingehen könnte wie er wollte.
Auch das mag mit Wahrheit gesagt werden, daß es nicht schwerer ist,
Platz darin zu finden als hineinzukommen. Hier magst zu hören, wie
es in Grimnismal heißt:
Fünfhundert
Türen und viermal zehn
Weiß ich in Walhall.
Achthundert Einherjer gehn aus je einer,
Wenn es dem Wolf zu wehren gilt.
41. Da sprach Gangleri: Eine gewaltige Menge ist in Walhall und ich
muß wohl glauben, daß Odin ein gewaltiger Häuptling ist, wenn er so
großem Heere gebietet. Aber was ist der Einherjer Kurzweil, wenn sie
nicht zechen? Har antwortete: Jeden Morgen, wenn sie angekleidet
sind, wappnen sie sich und gehen in den Hof und kämpfen und fällen
einander. Das ist ihr Zeitvertreib. Und wenn es Zeit ist zum
Mittagsmahl, reiten sie heim gen Walhall und setzen sich an den
Trinktisch, wie hier gesagt ist:
Die Einherjer
alle in Odins Saal
Streiten Tag für Tag;
Sie kiesen den Wal und reiten vom Kampf heim
Mit Asen Ael zu trinken;
Dann sitzen sie friedlich beisammen.
Aber wahr ist, was du sagtest, Odin ist ein großer Häuptling: dafür gibt es Beweise genug. So heißt es hier mit der Asen eigenen Worten:
Die Esche
Yggdrasil ist der Bäume erster,
Skidbladnir der Schiffe,
Odin der Asen, aller Rosse, Sleipnir,
Bifröst der Brücken, der Skalden Bragi,
Habrok der Habichte, der Hunde Garm.
42. Da fragte Gangleri: Wem gehört das Roß Sleipnir? Oder was ist
von ihm zu sagen? Har antwortete: Nicht magst du von Sleipnir Kunde
haben, wenn du nicht weißt, bei welchem Anlaß er erzeugt wurde, und
das wird dich wohl der Erzählung wert dünken.
Es geschah früh bei der ersten Niederlassung der Götter, als sie Midgard erschaffen und Walhall gebaut hatten, daß ein Baumeister kam und sich erbot, eine Burg zu bauen in drei Halbjahren, die den Göttern zum Schutz und Schirm wäre wider Bergriesen und Hrimthursen, wenn sie gleich über Midgard eindrängen. Aber er bedingte sich das zum Lohn, daß er Freyja haben sollte und dazu Sonne und Mond. Da traten die Asen zusammen und hielten Rat und gingen den Kauf ein mit dem Baumeister, daß er haben sollte was er anspräche, wenn er in einem Winter die Burg fertig brächte; wenn aber am ersten Sommertag noch irgend ein Ding an der Burg unvollendet wäre, so sollte er des Lohnes entraten; auch dürfte er von niemanden bei dem Werke Hilfe empfangen. Als sie ihm diese Bedingung sagten, da verlangte er von ihnen, daß sie ihm erlauben sollten, sich der Hilfe seines Pferdes Swadilfari zu bedienen, und Loki riet dazu, daß ihm dies zugesagt wurde. Da griff er am ersten Wintertag dazu, die Burg zu bauen und führte in der Nacht die Steine mit dem Pferde herbei. Die Asen dünkte es ein großes Wunder, wie gewaltige Felsen das Pferd herbeizog; und noch halbmal so viel Arbeit verrichtete das Pferd als der Baumeister. Der Kauf aber war mit vielen Zeugen und starken Eiden bekräftigt worden, denn ohne solchen Frieden hätten sich die Jötune bei den Asen nicht sicher geglaubt, wenn Thor heimkäme, der damals nach Osten gezogen war, Unholde zu schlagen. Als der Winter zu Ende ging, ward der Bau der Burg sehr beschleunigt, und schon war sie hoch und stark, daß ihr kein Angriff mehr schaden konnte. Und als noch drei Tage blieben bis zum Sommer, war es schon bis zum Burgtor gekommen. Da setzten sich die Götter auf ihre Richterstühle und hielten Rat und einer fragte den andern, wer dazu geraten hätte, Freyja nach Jötunheim zu vergeben und Luft und Himmel so zu verderben, daß Sonne und Mond hinweggenommen und den Jötunen gegeben werden sollten. Da kamen sie alle überein, daß der dazu geraten haben werde, der zu allem Übeln rate: Loki, Laufeyjas Sohn, und sagten, er solle eines Übeln Todes sein, wenn er nicht Rat fände, den Baumeister um seinen Lohn zu bringen. Und als sie dem Loki zusetzten, ward er bange vor ihnen und schwur Eide, er wolle es so einrichten, daß der Baumeister um seinen Lohn käme, was es ihm auch kosten möchte. Und denselben Abend, als der Baumeister nach Steinen ausfuhr mit seinem Hengste Swadilfari, da lief eine Stute aus dem Wald dem Hengst entgegen und wieherte ihm zu. Und als der Hengst merkte, was Rosses das war, da ward er wild, zerriß die Stricke und lief der Mähre nach, und die Mähre voran zum Walde und der Baumeister dem Hengste nach, ihn zu fangen. Und diese Rosse liefen die ganze Nacht umher, und diese Nacht ward das Werk versäumt und am Tage darauf wurde dann nicht gearbeitet, wie sonst geschehen war. Und als der Meister sah, daß das Werk nicht zu Ende kommen möge, da geriet er in Riesenzorn. Die Asen aber, die nun für gewiß erkannten, daß es ein Bergriese war, der zu ihnen gekommen war, achteten ihre Eide nicht mehr und riefen zu Thor, und im Augenblick kam er und hub auch gleich seinen Hammer Miölnir und bezahlte mit ihm den Baulohn, nicht mit Sonne und Mond; vielmehr verwehrte er ihm das Bauen auch in Jötunheim, denn mit dem ersten Streich zerschmetterte er ihm den Hirnschädel in kleine Stücke und sandte ihn hinab gen Niflhel. Loki selbst war als Stute dem Swadilfari begegnet und einige Zeit nachher gebar er ein Füllen, das war grau und hatte acht Füße, und dies ist der Pferde bestes bei Göttern und Menschen. So heißt es in der Wöluspa:
Da gingen die
Berater zu den Richterstühlen,
Hochheilge Götter hielten Rat,
Wer mit Frevel hätte die Luft erfüllt,
Oder dem Riesenvolk Odhurs Braut gegeben.
Da schwanden die Eide, Wort und Schwüre,
Alle festen Verträge jüngst trefflich erdacht.
Das schuf von Zorn bezwungen Thor;
Er säumt selten, wenn er solches vernimmt.
43. Da fragte Gangleri: Was
ist von Skidbladnir zu berichten, welches das beste der Schiffe sein
soll? Gibt es weder ein ebenso gutes Schiff als dieses, noch ein
ebenso großes? Har antwortete: Skidbladnir ist das beste Schiff und
das künstlichste; aber Naglfari, das Muspel besitzt, ist das größte.
Gewisse Zwerge, Iwaldis Söhne, schufen Skidbladnir und gaben das
Schiff dem Freyr: es ist so groß, daß alle Asen mit ihrem Gewaffen
und Heergerät an Bord sein können, und sobald die Segel aufgezogen
sind, hat es Fahrwind, wohin es auch steuert. Und will man es nicht
gebrauchen, die See damit zu befahren, so ist es aus so vielen
Stücken mit so großer Kunst gemacht, daß man es wie ein Tuch
zusammenfalten und in seiner Tasche tragen kann.
44. Da sprach Gangleri: Ein gutes Schiff ist Skidbladnir und gar
große Zauberei mag dazu gehört haben, es so kunstreich zu schaffen.
Aber ist es dem Thor auf seinen Fahrten nie begegnet, daß er so
Starkes und Mächtiges fand, das ihm an Kraft und Zauberkunst
überlegen war? Har antwortete: Wenige, glaube ich, wissen davon zu
sagen und große Gefahren hat er doch bestanden; aber wenn es sich je
begab, daß etwas so stark oder mächtig war, daß es Thor nicht
besiegen konnte, so ist es besser, nicht davon zu reden, denn es
gibt viele Beispiele dafür und Gründe genug zu glauben, daß Thor der
Mächtigste sei. Da sprach Gangleri: So scheint es ja, als hätte ich
euch nach einem Dinge gefragt, worauf niemand antworten könne. Da
sprach Jafnhar: Wir haben von Begebenheiten sagen hören, deren
Wahrheit uns kaum glaublich dünkt; aber hier sitzt der in der Nähe,
welcher getreuen Bericht davon geben mag, und du darfst glauben, daß
er jetzt nicht zum erstenmal lügen wird, der nie zuvor gelogen hat.
Da sprach Gangleri: Hier will ich stehen und hören, ob ich von
diesen Geschichten Bescheid erhalte, denn im anderen Fall erkläre
ich euch für überwunden, wenn ihr keine Antwort wißt auf meine
Frage. Da sprach Thridi: Offenbar ist es nun, daß er diese
Geschichten wissen will, obwohl uns bedünkt, es sei nicht gut davon
zu sprechen. Du hast also zu schweigen. Der Anfang dieser Erzählung
ist nun, daß Ökuthor ausfuhr mit seinem Wagen und seinen Böcken und
mit ihm der Ase, der Loki heißt. Da kamen sie am Abend zu einem
Bauern und fanden da Herberge. Zur Nacht nahm Thor seine Böcke und
schlachtete sie; darauf wurden sie abgezogen und in den Kessel
getragen. Und als sie gesotten waren, setzte sich Thor mit seinem
Gefährten zum Nachtmahl. Thor bat auch den Bauern, seine Frau und
beide Kinder, mit ihm zu speisen. Des Bauern Sohn hieß Thialfi und
die Tochter Röskwa. Da legte Thor die Bocksfelle neben den Herd, und
sagte, der Bauer und seine Hausleute möchten die Knochen auf die
Felle werfen. Thialfi, des Bauern Sohn, hatte das Schenkelbein des
einen Bocks, das schlug er mit seinem Messer entzwei, um zum Mark zu
kommen. Thor blieb die Nacht da und am Morgen stand er vor Tag auf,
kleidete sich, nahm den Hammer Miölnir und erhob ihn, die Bocksfelle
zu weihen. Da standen die Böcke auf; aber dem einen lahmte das
Hinterbein. Thor befand es und sagte, der Bauer oder seine
Hausgenossen müssten unvorsichtig mit den Knochen des Bocks
umgegangen sein, denn er sehe, das eine Schenkelbein wäre
zerbrochen. Es braucht nicht weitläufig erzählt zu werden, da es ein
jeder begreifen kann, wie der Bauer erschrecken mochte, als er sah,
daß da Thor die Brauen über die Augen sinken ließ, und wie wenig er
auch von den Augen noch sah, so meinte er doch, vor der Schärfe des
Blicks zu Boden zu fallen. Thor faßte den Hammerschaft so hart mit
den Fingern an, daß die Knöchel davon weiß wurden. Der Bauer
gebärdete sich, wie man denken mag, so, daß alle seine Hausgenossen
entsetzlich schrien und alles, was sie hatten, zum Ersatz boten. Als
Thor ihren Schrecken sah, ließ er von seinem Zorn, beruhigte sich
und nahm ihre Kinder Thialfi und Röskwa zum Vergleich an: die wurden
nun Thors Dienstleute und folgen ihm seitdem überall.
45. Er ließ seine Böcke dort zurück und setzte seine Reise ostwärts
nach Jötunheim bis an das Meer fort, fuhr dann über die tiefe See
und als er die Küste erreichte, stieg er ans Land und mit ihm Loki,
Thialfi und Röskwa. Als sie eine Weile gegangen waren, kamen sie an
einen großen Wald, durch den gingen sie den ganzen Tag bis es dunkel
wurde. Thialfi, aller Männer fußrüstigster, trug Thors Tasche; aber
Speisevorrat war nicht leicht zu erlangen. Als es dunkel geworden
war, suchten sie ein Nachtlager und fanden eine ziemlich geräumige
Hütte. An einem Ende war der Eingang so breit wie die Hütte selbst:
die wählten sie zum Nachtaufenthalt. Aber um Mitternacht entstand
ein starkes Erdbeben, der Boden zitterte unter ihnen und die Hütte
schwankte. Da stand Thor auf und rief seinen Gefährten; sie suchten
weiter und fanden in der Mitte der Hütte zur rechten Hand einen
Anbau: da gingen sie hinein. Thor setzte sich in die Türe; die
anderen hielten sich innerhalb hinter ihm und waren sehr bang. Thor
hielt den Hammerschaft in der Hand und gedachte sich zu wehren. Da
hörten sie viel Geräusch und Getöse. Und als der Tag anbrach, ging
Thor hinaus und sah da einen Mann nicht weit von ihm im Walde
liegen, der war nicht klein; er schlief und schnarchte gewaltig. Da
glaubte Thor zu verstehen, welchen Lärm er in der Nacht gehört
hatte, und umspannte sich mit den Stärkegürteln. Da wuchs ihm die
Asenstärke. Währenddessen erwachte der Mann und stand hastig auf.
Und da wird gesagt, daß Thor dieses eine Mal nicht gewagt habe, mit
dem Hammer nach ihm zu schlagen. Er fragte ihn aber nach seinem
Namen und er nannte sich Skrymir. Und nicht brauche ich, sagte er,
dich um deinen Namen zu fragen: ich weiß, daß du Asathor bist. Aber
wohin hast du meinen Handschuh geschleppt? Da streckte Skrymir den
Arm aus und hob seinen Handschuh auf. Nun sah Thor, daß er den in
der Nacht zur Herberge gehabt, und der Anbau war der Däumling des
Handschuhs gewesen. Skrymir fragte, ob ihn Thor zum Reisegefährten
haben wolle, und Thor bejahte es. Da fing Skrymir an, seinen
Speisesack zu lösen und gab sich dran, sein Frühstück zu verzehren,
und Thor seinerseits tat mit seinen Gefährten ein gleiches. Skrymir
schlug vor, ihren Speisevorrat zusammenzulegen und Thor willigte
ein. Da knüpfte Skrymir all ihr Essen in einen Bündel und legte ihn
auf seinen Rücken. Er ging den Tag über voran und stieg große
Schritte; am Abend aber suchte er ihnen Nachtherberge unter einer
mächtigen Eiche. Da sprach Skrymir zu Thor, er wolle sich schlafen
legen: nehmt ihr das Speisebündel und bereitet euch ein Nachtmahl.
Darauf schlief Skrymir ein und schnarchte mächtig und Thor nahm das
Speisebündel und wollte es öffnen, und das ist zu berichten, wie
unglaublich es dünken möge, daß er keinen Knoten losbrachte: auch
nicht einer der zusammengeknüpften Riemen wurde lose. Und als er
sah, daß seine Arbeit nicht fruchtete, wurde er zornig, faßte seinen
Hammer Miölnir in beide Hände, schritt mit einem Fuß dahin vor, wo
Skrymir lag, und schlug ihn auf das Haupt. Und Skrymir erwachte und
fragte, ob ihm ein Blatt von dem Baum auf den Kopf gefallen sei?
Auch fragte er, ob sie jetzt gegessen hätten und bereit wären, sich
zur Ruhe zu begeben? Thor antwortete, sie wollten eben schlafen
gehen. Sie gingen unter eine andere Eiche, wagten aber, um die
Wahrheit zu sagen, nicht zu schlafen. Aber um Mitternacht hörte Thor
den Skrymir im Schlaf so laut schnarchen, daß der Wald widerhallte.
Da stand er auf und ging zu ihm, schwang den Hammer astig und heftig
und schlug ihn mitten auf den Wirbel, so daß er merkte, wie das
Hammerende ihm tief ins Haupt sank. In dem Augenblick erwachte
Skrymir und fragte: Was ist mir? Ist mir eine Eichel auf den Kopf
gefallen? Oder was ist mir, Thor? Thor trat eilends zurück und
antwortete, er sei eben aufgewacht, und fügte hinzu, es sei
Mitternacht und also noch Zeit zu schlafen. Da gedachte Thor, wenn
er es zuwege brächte, ihm den dritten Schlag zu schlagen, so sollte
er ihn niemals wiedersehen. Er legte sich und wartete, bis Skrymir
fest eingeschlafen wäre. Und kurz vor Tag hörte er, daß Skrymir
eingeschlafen sein müsse. Da stand er auf und ging zu ihm und
schwang den Hammer mit aller Kraft und traf ihn auf die Schläfe,
welche nach oben gekehlt war, und der Hammer drang ein bis auf den
Schaft. Da richtete Skrymir sich auf, strich sich die Wange und
sprach: Sitzen Vögel über mir auf dem Baume? Es kam mir vor, da ich
erwachte, als fiele mir von den Asten irgend ein Abfall auf den
Kopf. Wachst du, Thor? Es wird Zeit sein, aufzustehen und sich
anzukleiden, obwohl ihr nun nicht mehr weit habt zu der Burg, die
Utgard heißt. Ich hörte, wie ihr untereinander sprächet, daß ich
kein kleiner Mann sei von Wuchs; aber dort sollt ihr größere Männer
sehen, wenn ihr nach Utgard kommt. Nun will ich euch heilsamen Rat
geben: überhebt euch da nicht zu sehr, denn nicht werden Utgardlokis
Hofmänner von solchen Burschen stolze Worte dulden; im anderen Fall
wendet lieber um: der Entschluß wird euch besser bekommen. Wollt ihr
aber doch eure Reise fortsetzen, so haltet euch ostwärts; mein Weg
geht nun nordwärts nach diesen Bergen, die ihr jetzt werdet sehen
können. Da nahm Skrymir das Speisebündel und warf es auf den Rücken
und wandte sich quer hinweg von ihnen in den Wald, und nicht ist
gemeldet, daß die Asen gewünscht hätten, ihn gesund wiederzusehen.
46. Thor fuhr nun weiter mit seinen Gefährten und ging fort bis
Mittag: da sah er auf einem Felde eine Burg stehen, und mußte den
Nacken zurückbiegen, um über sie hinwegzusehen. Sie gingen hinzu, da
war an dem Burgtor ein verschlossenes Gitter. Thor ging an das
Gitter und konnte es nicht öffnen, und damit sie in die Burg
gelangen mochten, zwängten sie sich zwischen den Stäben hindurch und
kamen so hinein. Da sahen sie eine große Halle und gingen hinzu. Die
Türe war offen, sie gingen hinein und sahen da viele Männer auf zwei
Bänken, die meisten sehr groß. Danach kamen sie vor den König
Utgardloki und grüßten ihn. Er aber sah säumig nach ihnen, bleckte
die Zähne und sprach lächelnd: Selten hört man von langer Reise
Wahres berichten; aber verhält es sich anders, denn ich denke: daß
dieser kleiner Bursche da Ökuthor sei? Du magst aber wohl mehr sein,
als du scheinst. Aber welche Fertigkeiten sind es, deren ihr
Gesellen euch dünkt, kundig zu sein? Niemand darf hier unter uns
sein, der sich nicht durch irgend eine Kunst oder Geschicklichkeit
vor anderen auszeichnete. Da sprach Loki, welcher der hinterste war:
Eine Kunst verstehe ich, die ich bereit bin, zu zeigen: Keiner soll
hier innen sein, der seine Speise hurtiger aufessen möge als ich. Da
versetzte Utgardloki: Das ist wohl eine Kunst, wenn du sie
verstehst, und das wollen wir nun versuchen. Da rief er nach den
Bänken hin, daß einer, Logi geheißen, auf den Estrich vortrete, sich
gegen Loki zu versuchen. Da wurde ein Trog genommen und auf den
Boden der Halle gesetzt und mit Fleisch gefüllt: Loki setzte sich an
das eine Ende und Logi an das andere, und jeder aß aufs hurtigste,
bis sie sich in der Mitte des Trogs begegneten. Da hatte Loki alles
Fleisch von den Knochen abgegessen, aber Logi hatte alles Fleisch
mitsamt den Knochen verzehrt und den Trog dazu. Alle dachten nun,
daß Loki das Spiel verloren habe. Da fragte Utgardloki, auf welche
Kunst jener junge Mann sich verstände. Da sagte Thialfi, er wolle
versuchen, mit einem jeden um die Wette zu laufen, den Utgardloki
dazu ausersehe. Utgardloki sagte, das sei eine gute Kunst; er müsse
aber sehr geübt zu sein glauben in der Hurtigkeit, wenn er in dieser
Kunst zu siegen hoffe, und der Versuch sollte nun sogleich vor sich
gehen. Da stand Utgardloki auf und ging hinaus, wo eine gute
Rennbahn auf ebenem Felde war. Utgardloki rief nun einen jungen
Burschen herbei, der sich Hugi nannte, und gebot ihm, mit Thialfi um
die Wette zu laufen. Da begannen sie den ersten Lauf, und Hugi war
so weit voraus, daß er am Ende der Bahn sich umwandte dem Thialfi
entgegen. Da sagte Utgardloki: Du mußt dich besser ausstrecken,
Thialfi, wenn du das Spiel gewinnen willst; aber doch ist es wahr,
daß noch keiner hierher gekommen ist, der mich fußfertiger schien.
Sie begannen nun den zweiten Lauf, und als Hugi ans Ende der Bahn
kam und sich umwandte, war Thialfi noch einen guten Pfeilschuß
zurück. Da sagte Utgardloki: Das dünkt mich gut gelaufen; aber ich
glaube nun kaum mehr, daß er das Spiel gewinnen wird; das wird sich
nun zeigen, wenn sie den dritten Lauf rennen. Da nahmen sie nochmals
ein Ziel und als Hugi ans Ende der Bahn gekommen war und sich
umkehrte, war Thialfi noch nicht in die Mitte der Bahn gekommen. Da
sagten alle, sie hätten sich in diesem Spiele nun genug versucht. Da
fragte Utgardloki den Thor, welche Kunst das sei, worin er sich vor
ihnen hervortun wolle, nachdem die Leute von seinen Großtaten so
viel Rühmens gemacht hätten. Da antwortete Thor, am liebsten wolle
er sich im Trinken messen - mit wem es auch sei. Utgardloki sagte,
das möge wohl geschehen. Er ging in die Halle, rief seinen Schenken
und befahl ihm, das Horn zu bringen, woraus seine Hofleute zu
trinken pflegten. Bald darauf kam der Mundschenk mit dem Horn und
gab es dem Thor in die Hand. Da sprach Utgardloki: Aus diesem Horn
scheint uns wohl getrunken, wenn es auf einen Trunk leer wird;
einige trinken es auf den zweiten aus, aber keiner ist ein so
schlechter Trinker, der es nicht in dreien leerte. Thor sah sich das
Horn an: es schien ihm nicht zu groß, obwohl ziemlich lang; er war
aber auch sehr durstig. Er fing an, zu trinken und schlang gewaltig
und glaubte nicht nötig zu haben, öfter abzusetzen und ins Horn zu
sehen. Als ihm aber der Atem ausging, setzte er das Horn ab und sah
zu, wie viel Trank noch übrig sei. Da schien es ihm ein sehr kleiner
Betrag, um den das Horn jetzt leerer sei denn zuvor. Da sprach
Utgardloki: Es ist wohl getrunken; aber doch nicht gar viel: ich
hätte es nicht geglaubt, wenn mir gesagt worden wäre, daß Asathor
nicht besser trinken könne. Ich weiß aber, du wirst es beim zweiten
Zug austrinken. Thor antwortete nichts, sondern setzte das Horn an
den Mund und dachte nun einen größeren Trunk zu tun, und bemühte
sich, zu trinken, so lang ihm der Atem vorhielt, sah aber doch, daß
das Ende des Horns nicht so hoch hinauf wollte als er gewünscht
hätte. Und als er das Horn vom Munde nahm, schien es ihm, als wenn
nun noch weniger abgegangen war als das erste Mal; doch konnte man
das Horn nun tragen ohne zu verschütten. Da sprach Utgardloki: Wie
nun, Thor? Willst du dich immer sparen, einen Trunk mehr zu tun als
dir gut ist? Nun scheint mir, wenn du mit dem dritten Trunk das Horn
leeren willst, so muß dieser Zug der größte sein. Du wirst aber hier
bei uns kein so großer Mann heißen können als wofür du bei den Asen
giltst, wenn du in anderen Spielen nicht mehr leistest, als du mir
in diesem zu vermögen scheinst. Da wurde Thor zornig, setzte das
Horn an den Mund und trank aus allen Kräften und so lang er trinken
mochte und als er ins Horn sah, war doch nun mehr als zuvor ein
Abgang bemerklich. Da gab er das Horn zurück und wollte nicht mehr
trinken. Da sprach Utgardloki: Es ist nun offenbar, daß deine Macht
nicht so groß ist, wie wir dachten. Denn man sieht nun, daß du
hierin nichts vermagst. Thor antwortete: Ich will mich noch in
anderen Spielen versuchen; aber wunderlich wurde es mich dünken,
wenn ich daheim bei den Asen wäre und solche Trünke würden für klein
geachtet. Doch welches Spiel wollt ihr mir nun anbieten? Da sprach
Utgardloki: Junge Burschen pflegen hier, was wenig zu bedeuten
scheint, meine Katze dort von der Erde aufzuheben, und nicht würde
ich gedenken, solches dem Asathor zuzumuten, wenn ich nicht zuvor
gesehen hätte, daß du viel weniger vermagst, als ich dachte. Alsbald
lief eine graue, ziemlich große Katze über den Estrich der Halle,
Thor ging hinzu, faßte sie mit der Hand mitten unterm Bauche und
lupfte an ihr, und die Katze krümmte den Rücken als Thor an ihr hob,
und als Thor sie so hoch emporzog wie er immer vermochte, ließ die
Katze mit dem einen Fuß von der Erde: weiter brachte es Thor nicht
in diesem Spiel. Da sprach Utgardloki: Es ging mit diesem Spiel wie
ich erwartete: die Katze ist ziemlich groß und Thor klein und kurz
neben den großen Männern, die hier bei uns sind. Da sprach Thor: So
klein ihr mich nennt, so komme nun her, wer da wolle und ringe mit
mir: nun bin ich zornig. Da antwortete Utgardloki, indem er nach den
Bänken sah, und sprach: Mitnichten sehe ich den Mann hier innen, den
es nicht ein Kinderspiel dünken würde, mit dir zu ringen. Aber laßt
sehen, fuhr er fort, die alte Frau ruft mir herbei, meine Amme Elli:
mit der mag Thor ringen, wenn er will. Sie hat schon Männer
niedergeworfen, die mir nicht schwächer schienen als Thor. Alsbald
kam eine alte Frau in die Halle: zu der sprach Utgardloki, sie solle
sich mit Asathor messen. Wir wollen den Bericht nicht längen; der
Kampf lief so ab: je stärker Thor sich anstrengte, je fester stand
sie. Nun fing die Frau an, ihm ein Bein zu stellen, Thor wurde mit
einem Fuße los und ein harter Kampf folgte; aber nicht lange währte
es, so war Thor auf ein Knie gefallen. Da ging Utgardloki hinzu und
gebot ihnen, den Kampf einzustellen. Er fugte hinzu: Thor habe nun
nicht nötig, noch andere an seinem Hof zum Kampf zu fordern. Es war
auch bald Nacht. Da wies Utgardloki den Thor und seine Gefährten zu
den Sitzen, und sie brachten da die Nacht bei guter Aufnahme zu.
47. Am Morgen darauf, als es Tag wurde, stand Thor mit seinen
Gefährten auf, sie kleideten sich und waren bereit, fortzuziehen. Da
kam Utgardloki und ließ ihnen einen Tisch vorsetzen; es fehlte nicht
an guter Bewirtung, Speis und Trank. Und als sie gegessen hatten,
beeilten sie ihre Fahrt. Utgardloki begleitete sie hinaus bis vor
die Burg und beim Abschied sprach er zu Thor und fragte, wie er mit
seiner Reise zufrieden sei und ob er einen Mächtigern, denn er
selber sei, getroffen habe. Thor antwortete, er könne nicht sagen,
daß die Begegnung mit ihnen nicht sehr zu seiner Unehre gereicht
habe, "aber wohl weiß ich, daß ihr mich für einen gar unbedeutenden
Mann halten werdet, womit ich übel zufrieden bin." Da sprach
Utgardloki : Nun will ich dir die Wahrheit sagen, da du wieder aus
der Burg gekommen bist, in die du, so lang ich lebe und zu befehlen
habe, nicht noch öfter kommen sollst. Und ich weiß auch wahrlich,
daß du niemals hinein gekommen wärest, wenn ich vorher gewußt hätte,
daß du so große Kraft besäßest, womit du uns beinahe in großes
Unglück gebracht hättest. Aber ich habe dir ein Blendwerk
vorgemacht, denn das erstemal, als ich dich im Walde fand, war ich
es, der mit euch zusammen traf, und als du das Speisebündel lösen
solltest, da hatte ich es mit Eisenbändern zugeschnürt, und du
fandest nicht, wo du es öffnen solltest. Und danach gabst du mir mit
dem Hammer drei Schläge. Der erste war der geringste und war doch so
stark, daß er mein Tod geworden wäre, wenn er getroffen hätte. Aber
du sahst bei meiner Halle einen Felsstock und sahst oben darin drei
viereckige Täler und eines war das tiefste: das waren die Spuren
deiner Hammerschläge. Den Felsstock hielt ich vor deine Hiebe; aber
du sahst es nicht. So war es auch mit den Spielen, worin ihr euch
mit meinen Hofleuten maßet. Das erste war das, worin sich Loki
versuchte: er war sehr hungrig und aß stark; aber der, welcher Logi
hieß, war das Wildfeuer und verbrannte das Fleisch und den Trog
zugleich. Und als Thialfi mit dem um die Wette lief, der Hugi hieß,
das war mein Gedanke und nicht war's zu erwarten, daß Thialfi es mit
dessen Geschwindigkeit aufnehmen könne. Und als du aus dem Horne
trankst und es dir langsam abzunehmen schien, da geschah fürwahr ein
Wunder, das ich nicht für möglich gehalten hätte: das andere Ende
des Hornes lag außen im Meere, das sahst du nicht; wenn du aber
jetzt zum Meere kommst, so wirst du sehen können, welche große
Abnahme du hinein getrunken hast: das nennt man nun Ebbe. Ferner
sprach er: Das dünkte mich nicht weniger wert, als du die Katze
lupftest, und dir die Wahrheit zu sagen, es erschraken alle, die es
sahen, als du ihr einen Fuß von der Erde hobst, denn die Katze war
nicht, was sie dir schien: es war die Midgardschlange, die um alle
Lande liegt, und kaum war sie noch lang genug, daß Schweif und Haupt
die Erde berührten, denn so hoch strecktest du den Arm auf, daß
nicht weit zum Himmel war. Ein großes Wunder war es auch um den
Ringkampf, den du mit Elli rangst, da keiner jemals ward noch werden
wird, den nicht, wenn er so alt wird, daß Elli ihn erreicht, das
Alter zu Fall brächte. Nun aber ist die Wahrheit, daß wir scheiden
sollen, und es wird uns beiderseits besser sein, wenn ihr nicht
öfter kommt mich zu besuchen; ich werde aber auch ein andermal meine
Burg mit solchen und anderen Täuschungen schirmen, daß ihr keine
Gewalt über mich erlangt. Und als Thor diese Rede hörte, griff er
nach seinem Hammer und hob ihn in die Luft; als er aber zuschlagen
wollte, sah er Utgardloki nirgends mehr. Er wandte sich zurück nach
der Burg und gedachte sie zu brechen: da sah er weite und schöne
Felder vor sich, aber keine Burg. Da kehrte er um und zog seines
Weges bis er wieder nach Thrudwang kam. Und das ist die Wahrheit,
daß er sich vorsetzte, zu versuchen, ob er mit der Midgardschlange
nicht zusammentreffen möchte, was seitdem geschah. Nun glaube ich,
daß dir niemand Genaueres von dieser Fahrt Thors sagen könne.
48. Da sprach Gangleri: Ein gewaltiger Mann muß Utgardloki sein, und
viel mit Täuschung und Zauberei vermögen, und seine Gewalt scheint
um so größer als er Hofleute hat, die große Macht besitzen. Aber hat
Thor dies auch gerochen? Har antwortete: Es ist nicht unbekannt,
selbst den Ungelehrten, wie Thor für die Reise, die nun erzählte
wurde, Ersatz nahm. Er weilte nicht lange daheim, sondern griff so
hastig zu dieser Fahrt, daß er weder Wagen noch Böcke noch
Reisegesellschaft mitnahm. Er ging aus über Midgard als ein junger
Gesell, und kam eines Abends zu einem Riesen, der Ymir hieß. Da
blieb Thor und nahm Herberge. Aber als es tagte, stand Ymir auf und
machte sich fertig, auf die See zu rudern zum Fischfang. Thor stand
auch auf und war gleich bereit und bat, daß Ymir ihn mit sich auf
die See rudern ließe. Ymir sagte, er könne nur wenig Hilfe von ihm
haben, da er so klein und jung sei, "und es wird dich frieren, wenn
ich so weit hinausfahre und so lange außen bleibe wie ich gewohnt
bin." Aber Thor sagte: er dürfe nur immer recht weit hinausfahren,
da es noch ungewiß sei, wer von ihnen beiden zuerst auf die Rückkehr
dringen werde; und Thor zürnte dem Riesen so, daß wenig fehlte, er
hätte ihn seinen Hammer fühlen lassen. Doch unterließ er es, weil er
seine Kraft anderwärts zu versuchen gedachte. Er fragte Ymir, was
sie zum Köder nehmen wollten, und Ymir sagte, er solle sich selber
einen Köder verschaffen. Da ging Thor dahin, wo er eine Herde Ochsen
sah, die Ymir gehörte, und nahm den größten Ochsen, der Himinbriotr
(Himmelsbrecher) hieß, riß ihm das Haupt ab und nahm das mit an die
See. Ymir hatte das Boot unterdessen ins Wasser geflößt. Thor ging
an Bord, setzte sich hinten ins Schiff, nahm zwei Ruder und ruderte
so, daß Ymir gedachte, von seinem Rudern habe er gute Fahrt. Ymir
ruderte vorn, so daß sie schnell fuhren. Da sagte Ymir, sie wären
nun an die Stelle gekommen, wo er gewohnt sei zu halten und Fische
zu fangen. Aber Thor sagte, er wolle noch viel weiter rudern: sie
fuhren also noch lustig weiter. Da sagte Ymir, sie wären nun so weit
hinausgekommen, daß es gefährlich wäre, in größerer Ferne zu halten
wegen der Midgardschlange. Aber Thor sagte, er werde noch eine Weile
rudern und so tat er, womit Ymir übel zufrieden war. Endlich zog
Thor die Ruder ein und rüstete eine sehr starke Angelschnur zu, und
der Hanken daran war nicht kleiner oder schwächer. Thor steckte den
Ochsenkopf an die Angel, warf sie von Bord und die Angel fuhr zu
Grunde. Da mag man nun fürwahr sagen, daß Thor die Midgardschlange
nicht minder zum besten hatte, als Utgardloki seiner spottete, da er
die Schlange mit seiner Hand heben sollte. Die Midgardschlange
schnappte nach dem Ochsenkopf und die Angel haftete dem Wurm im
Gaumen. Als die Schlange das merkte, zuckte sie so stark, daß Thor
mit beiden Fäusten auf den Schiffsrand geworfen wurde. Da wurde Thor
zornig, fuhr in seine Asenstärke und sperrte sich so mächtig, daß er
mit beiden Fußen das Schiff durchstieß und sich gegen den Grund des
Meeres stemmte: also zog er die Schlange herauf an Bord. Und das mag
man sagen, daß niemand einen schrecklichen Anblick gesehen hat, der
nicht sah, wie jetzt Thor die Augen wider die Schlange schärfte und
die Schlange von unten ihm entgegen stierte und Gift blies. Da wird
gesagt, daß der Riese Ymir die Farbe wechselte und vor Schrecken
erbleichte, als er die Schlange sah und wie die See im Boot aus- und
einströmte. Aber in dem Augenblick, da Thor den Hammer ergriff und
in der Luft schwang, stürzte der Riese hinzu mit seinem Messer und
zerschnitt Thors Angelschnur, und die Schlange versank in die See,
und Thor warf den Hammer nach ihr, und die Leute sagen, er habe ihr
im Meeresgrund das Haupt abgeschlagen; doch mich dünkt, die Wahrheit
ist, daß die Midgardschlange noch lebt und in der See liegt. Aber
Thor schwang die Faust und traf den Riesen so ans Ohr, daß er über
Bord stürzte und seine Fußsohlen sehen ließ. Da watete Thor ans
Land.
49. Da fragte Gangleri: Haben sich noch andere Abenteuer mit den Asen ereignet? Eine gewaltige Heldentat hat Thor auf dieser Fahrt verrichtet. Har antwortete: Es mag noch von Abenteuern berichtet werden, die den Asen bedeutender scheinen. Und das ist der Anfang dieser Sage, daß Baldur, der gute, schwere Träume träumte, die seinem Leben Gefahr deuten. Und als er den Asen seine Träume sagte, pflogen sie Rat zusammen und beschlossen, dem Baldur Sicherheit vor allen Gefahren auszuwirken. Da nahm Frigg Eide von Feuer und Wasser, Eisen und allen Erzen, Steinen und Erden, von Bäumen, Krankheiten und Giften, dazu von allen vierfüßigen Tieren, Vögeln und Würmern, daß sie Baldurs schonen wollten. Als das geschehen und allen bekannt war, da kurzweilten die Asen mit Baldur, daß er sich mitten in den Kreis stellte und einige nach ihm schossen, andere nach ihm hieben und noch andere mit Steinen warfen. Und was sie auch taten, es schadete ihm nicht; das dünkte sie alle ein großer Vorteil. Aber als Loki, Laufeyjas Sohn, das sah, da gefiel es ihm übel, daß den Baldur nichts verletzen sollte. Da ging er zu Frigg nach Fensal in Gestalt eines alten Weibes. Da fragte Frigg die Frau, ob sie wüßte, was die Asen in ihrer Versammlung vornähmen. Die Frau antwortete: sie schossen alle nach Baldur; ihm aber schadete nichts. Da sprach Frigg: Weder Waffen noch Bäume mögen Baldur schaden: ich habe von allen Eide genommen. Da fragte das Weib: Haben alle Dinge Eide geschworen, Baldurs zu schonen? Frigg antwortete: östlich von Walhall wächst eine Staude, Mistel genannt, die schien mir zu jung, sie in Eid zu nehmen. Darauf ging die Frau fort; Loki nahm den Mistelzweig, riß ihn aus und ging zur Versammlung. Hödur stand zuäußerst im Kreise der Männer, denn er war blind. Da sprach Loki zu ihm, warum schießt du nicht nach Baldur? Er antwortete: Weil ich nicht sehe, wo Baldur steht; zum anderen hab ich auch keine Waffe. Da sprach Loki: Tu doch wie andere Männer und biete Baldur Ehre wie alle tun. Ich will dich dahin weisen wo er steht: so schieße nach ihm mit diesem Reis. Hödur nahm den Mistelzweig und schoß nach Baldur nach Lokis Anweisung. Der Schuß flog und durchbohrte ihn, daß er tot zur Erde fiel, und das war das größte Unglück, das Menschen und Götter betraf. Als Baldur gefallen war, standen die Asen alle wie sprachlos und gedachten nicht einmal, ihn aufzuheben. Einer sah den anderen an; ihr aller Gedanke war wider den gerichtet, der diese Tat vollbracht hatte; aber sie durften es nicht rächen: es war an einer heiligen Freistätte. Als aber die Asen die Sprache wieder erlangten, da war das erste, daß sie so heftig zu weinen anfingen, daß keiner mit Worten dem anderen seinen Gram sagen mochte. Und Odin nahm sich den Schaden um so mehr zu Herzen als niemand so gut wüßte als er, zu wie großem Verlust und Verfall den Asen Baldurs Ende gereichte. Als nun die Asen sich erholt hatten, da sprach Frigg und fragte, wer unter den Asen ihre Gunst und Huld gewinnen und den Helweg reiten wolle, um zu versuchen ob er da Baldur fände, und der Hel Lösegeld zu bieten, daß sie Baldur heimfahren ließe gen Asgard.
Und er hieß Hermod, der schnelle, Odins Sohn, der diese Fahrt übernahm. Da ward Sleipnir, Odins Hengst, genommen und vorgeführt, Hermod bestieg ihn und stob davon. Da nahmen die Asen Baldurs Leiche und brachten sie zur See. Hringhorni hieß Baldurs Schiff, es war aller Schiffe größtes. Das wollten die Götter vom Strande stoßen und Baldurs Leiche darauf verbrennen; aber das Schiff ging nicht von der Stelle. Da wurde gen Jötunheim nach dem Riesenweib gesendet, die Hyrrockin hieß, und als sie kam, ritt sie einen Wolf, der mit einer Schlange gezäumt war. Als sie vom Rosse gesprungen war, rief Odin vier Berserker herbei, es zu halten; aber sie vermochten es nicht anders als indem sie es niederwarfen. Da trat Hyrrockin an das Vorderteil des Schiffes und hieß es im ersten Anfassen vor, daß Feuer aus den Walzen fuhr und alle Lande zitterten. Da ward Thor zornig und griff nach dem Hammer und würde ihr das Haupt zerschmettert haben, wenn ihr nicht alle Götter Frieden erbeten hätten. Da wurde Baldurs Leiche hinaus auf das Schiff getragen und als sein Weib Nanna, Neps Tochter, das sah, da zersprang sie vor Jammer und starb. Da wurde sie auf den Scheiterhaufen gebracht und Feuer darunter gezündet, und Thor trat hinzu und weihte den Scheiterhaufen mit Miölnir, und vor seinen Füßen lief der Zwerg, der Lit hieß, und Thor stieß mit dem Fuß nach ihm und warf ihn ins Feuer, daß er verbrannte. Und diesem Leichenbrand wohnten vielerlei Gäste bei: zuerst ist Odin zu nennen, und mit ihm fuhr Frigg und die Walküren und Odins Raben, und Freyr fuhr im Wagen und hatte den Eber vorgespannt, der Gullinbursti hieß oder Slidrugtanni. Heimdall ritt den Hengst Gulltopp und Freyja fuhr mit ihren Katzen. Auch kam eine große Menge Hrimthursen und Bergriesen. Odin legte auf den Scheiterhaufen den Ring, der Draupnir hieß, der seitdem die Eigenschaft gewann, daß jede neunte Nacht acht gleich schöne Goldringe von ihm tropften. Baldurs Hengst wurde mit allem Geschirr zum Scheiterhaufen geführt. Von Hermod aber ist zu sagen, daß er neun Nächte tiefe dunkle "Täler ritt, so daß er nichts sah, bis er zum Giöllflusse kam und über die Giöllbrücke ritt, die mit glänzendem Gold belegt ist. Modgud heißt die Jungfrau, welche die Brücke bewacht: die fragte ihn nach Namen und Geschlecht und sagte, gestern seien fünf Haufen toter Männer über die Brücke geritten, "und nicht donnert sie jetzt minder unter dir allein, und nicht hast du die Farbe toter Männer: warum reitest du den Helweg?" Er antwortete: Ich soll zu Hel reiten, Baldur zu suchen. Hast du vielleicht Baldur auf dem Helweg gesehen? Da sagte sie: Baldur sei über die Giöllbrücke geritten; "aber nördlich geht der Weg hinab zu Hel." Da ritt Hermod dahin, bis er an das Helgitter kam: da sprang er vom Pferd und gürtete es fester, stieg wieder auf und gab ihm die Sporen: da setzte der Hengst so mächtig über das Gitter, daß er es nirgends berührte. Da ritt Hermod auf die Halle zu, stieg vom Pferd und trat in die Halle. Da sah er seinen Bruder Baldur auf dem Ehrenplatze sitzen. Hermod blieb dort die Nacht über. Aber am Morgen verlangte Hermod von Hel, daß Baldur mit ihm heim reiten solle, und sagte, welche Trauer um ihn bei den Asen sei. Aber Hel sagte, das solle sich nun erproben, ob Baldur so allgemein geliebt werde als man sage. "Und wenn alle Dinge in der Welt, lebendige sowohl als tote, ihn beweinen, so soll er zurück zu den Asen fahren; aber bei Hel bleiben, wenn eins widerspricht und nicht weinen will." Da stand Hermod auf und Baldur geleitete ihn aus der Halle und nahm den Ring Draupnir und sandte ihn Odin zum Andenken, und Nanna sandte der Frigg einen Überwurf und noch andere Gaben, und der Fulla einen Goldring. Da ritt Hermod seines Weges zurück und kam nach Asgard und sagte alle Dinge, die er da gehört und gesehen hatte. Danach sandten die Asen Boten in alle Welt und geboten. Baldur aus Hels Gewalt zu weinen. Alle taten das, Menschen und Tiere, Erde, Steine, Bäume und alle Erze; wie du schon gesehen haben wirst, daß diese Dinge weinen, wenn sie aus dem Frost in die Wärme kommen. Als die Gesandten heimfuhren und ihr Gewerbe wohl vollbracht hatten, fanden sie in einer Höhle ein Riesenweib sitzen, das Thöck (Dock, Dunkel) genannt wurde. Die baten sie auch, den Baldur aus Hels Gewalt zu weinen. Sie antwortete:
Thöck muß weinen mit
trocknen Augen
Über Baldurs Ende.
Nicht im Leben noch im Tod hatt ich Nutzen von ihm:
Behalte Hel was sie hat.
Man meint, daß dies Loki,
Laufeyjas Sohn, gewesen sei, der den Asen so viel Leid zugefügt
hatte.
50. Da sprach Gangleri: Viel Arges wahrlich hatte Loki zu Wege
gebracht, da er erst verursachte, daß Baldur erschlagen wurde, und
dann schuld war, daß er nicht erlöst ward aus Hels Gewalt. Aber
wurde das nicht irgendwie an ihm geahnt? Har antwortete: Es ward ihm
so vergolten, daß er lange daran denken wird. Als die Götter so
wider ihn aufgebracht waren, wie man erwarten mag, lief er fort und
barg sich in einem Berge. Da machte er sich ein Haus mit vier Türen,
daß er aus dem Hause nach allen Seiten sehen konnte. Oft am Tag
verwandelte er sich in Lachsgestalt und barg sich in dem Wasserfall,
der Franang hieß, und bedachte bei sich, welches Kunststück die Asen
wohl erfinden könnten, ihn in dem Wasserfall zu fangen. Und einst,
als er daheim saß, nahm er Flachsgarn und verflocht es zu Maschen,
wie man seitdem Netze macht. Dabei brannte Feuer vor ihm. Da sah er,
daß die Asen nicht weit von ihm waren, denn Odin hatte von
Hlidskialfs Höhe seinen Aufenthalt erspäht. Da sprang er schnell auf
und hinaus ins Wasser, nachdem er das Netz ins Feuer geworfen hatte.
Und als die Asen zu dem Haus kamen, da ging er zuerst hinein, der
von allen der Weiseste war und Kwasir hieß, und als er im Feuer die
Asche sah, wo das Netz gebrannt hatte, da merkte er, daß dies ein
Mittel sein sollte, Fische zu fangen, und sagte das den Asen. Da
fingen sie an und machten ein Netz jenem nach, das Loki gemacht
hatte, wie sie in der Asche sahen. Und als das Netz fertig war,
gingen sie zu dem Fluß und warfen das Netz in den Wasserfall. Thor
hielt das eine Ende, das andere die übrigen Asen, und nun zogen sie
das Netz. Aber Loki schwamm voran und legte sich am Boden zwischen
zwei Steine, so daß das Netz über ihn hinweggezogen wurde, doch
merkten sie wohl, daß etwas Lebendiges vorhanden sei. Da gingen sie
abermals an den Wasserfall und warfen das Netz aus, nachdem sie
etwas so Schweres daran gebunden hatten, daß nichts unten
durchschlüpfen mochte. Loki fuhr vor dem Netze her und als er sah,
daß es nicht weit von der See sei, da sprang er über das
ausgespannte Netz und lief zurück in den Fall. Nun sahen die Asen,
wo er geblieben war: da gingen sie wieder an den Wasserfall und
teilten sich in zwei Haufen nach den beiden Ufern des Flusses. Thor
aber mitten im Fluß watend folgte ihnen bis an die See. Loki hatte
nun die Wahl, entweder mit Lebensgefahr nach der See zu ziehen oder
abermals über das Netz zu springen. Er tat das letzte und sprang
schnell über das ausgespannte Netz. Thor griff nach ihm und kriegte
ihn in der Mitte zu fassen; aber er glitt ihm in der Hand, so daß er
ihn erst am Schwanz wieder festhalten konnte. Darum ist der Lachs
hinten spitz. Nun war Loki friedlos gefangen. Sie brachten ihn in
eine Höhle und nahmen drei lange Felsenstücke, stellten sie auf die
schmale Kante und schlugen ein Loch in jedes. Dann wurden Lokis
Söhne, Wali und Nari oder Narwi, gefangen. Den Wali verwandelten die
Asen in Wolfsgestalt: da zerriß er seinen Bruder Narwi. Da nahmen
die Asen seine Därme und banden den Loki damit über die drei Felsen:
der eine stand ihm unter den Schultern, der andere unter den Lenden,
der dritte unter den Kniegelenken; die Bänder aber wurden zu Eisen.
Da nahm Skadi einen Giftwurm und befestigte ihn über ihm, damit das
Gift aus dem Wurm ihm ins Antlitz träufelte. Und Sigyn, sein Weib,
steht neben ihm und hält ein Becken unter die Gifttropfen. Und wenn
die Schale voll ist, da geht sie und gießt das Gift aus; derweil
aber tropft ihm das Gift ins Angesicht, wogegen er sich so heftig
sträubt, daß die ganze Erde schüttelt, und das ist es, was man
Erdbeben nennt. Dort liegt er in Banden bis zur Götterdämmerung.
51. Da sprach Gangleri: Was für Dinge sind zu sagen von der Götterdämmerung? Ich hörte dessen nie zuvor erwähnen. Har antwortete: Davon sind viele und wichtige Dinge zu sagen. Zum ersten, daß ein Winter kommen wird, Fimbulwinter genannt. Da stöbert Schnee von allen Seiten, da ist der Frost groß und sind die Winde scharf, und die Sonne hat ihre Kraft verloren. Dieser Winter kommt dreimal nacheinander und kein Sommer dazwischen. Zuvor aber kommen drei andere Jahre, da die Welt mit schweren Kriegen erfüllt sein wird. Da werden sich Brüder aus Habgier ums Leben bringen und der Sohn des Vaters, der Vater des Sohnes nicht schonen. So heißt es in der Wöluspa:
Brüder befehden sich
und fällen einander,
Geschwisterte sieht man die Sippe brechen.
Unerhörtes ereignet sich, großer Ehbruch.
Beilalter, Schwertalter, wo Schilde klaffen,
Windzeit, Wolfszeit eh die Welt zerstürzt.
Der eine achtet des andern nicht mehr.
Da geschieht es, was am schrecklichsten dünken wird: daß der Wolf die Sonne verschlingt - den Menschen zu großem Unheil. Der andere Wolf wird den Mond packen und so auch großen Schaden tun und die Sterne werden vom Himmel fallen. Da wird sich auch ereignen, daß die Erde so bebt und alle Berge, daß die Bäume entwurzelt werden, die Berge zusammenstürzen und alle Ketten und Bande brechen und reißen. Da wird der Fenriswolf los und das Meer überflutet das Land, weil die Midgardschlange wieder Jotenmut annimmt und das Land sucht. Da wird auch Naglfar flott, das Schiff, das so heißt und aus Nägeln der Toten gemacht ist, weshalb wohl die Warnung am Ort ist, daß, wenn ein Mensch stirbt, ihm die Nägel nicht unbeschnitten bleiben, womit der Bau des Schiffes Naglfar beschleunigt wurde, den doch Götter und Menschen verspätet wünschen.
Bei dieser Überschwemmung aber wird Naglfar flott. Hrym heißt der Riese, der Naglfar steuert. Der Fenriswolf fährt mit klaffendem Rachen umher, daß sein Oberkiefer den Himmel, der Unterkiefer die Erde berührt, und wäre Raum dazu, er wurde ihn noch weiter aufsperren. Feuer glüht ihm aus Augen und Nasen. Die Midgardschlange speit Gift aus, daß Luft und Meer entzündet werden; entsetzlich ist ihr Anblick, wenn sie dem Wolf zur Seite kämpft. Von diesem Lärmen birst der Himmel: da kommen Muspels Söhne hervorgeritten. Surtur fährt an ihrer Spitze, vor ihm und hinter ihm glühendes Feuer. Sein Schwert ist wunderscharf und glänzt heller als die Sonne. Als sie über die Brücke Bifröst reiten, zerbricht sie, wie vorhin gesagt wurde. Da ziehen Muspels Söhne nach der Ebene, die Wigrid heißt; dahin kommt auch der Fenriswolf und die Midgardschlange, und auch Loki wird dort sein und Hrym und mit ihm alle Hrimthursen. Mit Loki ist Hels ganzes Gefolge und Muspels Söhne haben ihre eigene glänzende Schlachtordnung. Die Ebene Wigrid ist hundert Rasten breit nach allen Seiten. Und wenn sich diese Dinge begeben, erhebt sich Heimdall und stößt aus aller Kraft ins Giallarhorn und weckt alle Götter, die dann Rat halten. Da reitet Odin zu Mimirs Brunnen und holt Rat von Mimir für sich und sein Gefolge. Die Esche Yggdrasil bebt und alles erschrickt im Himmel und auf Erden. Die Asen wappnen sich zum Kampf und alle Einherjer eilen zur Walstatt. Zuvorderst reitet Odin mit dem Goldhelm, dem schönen Harnisch und dem Spieß, der Gungnir heißt. So eilt er dem Fenriswolf entgegen, und Thor schreitet an seiner Seite, mag ihm aber wenig helfen, denn er hat vollauf zu tun, mit der Midgardschlange zu kämpfen. Freyr streitet wider Surtur und kämpfen sie ein hartes Treffen bis Freyr erliegt, und das wird sein Tod, daß er sein gutes Schwert vermißt, das er dem Skirnir gab. Inzwischen ist auch Garm, der Hund, losgeworden, der vor der Gnipahöhle gefesselt lag: das gibt das größte Unheil, da er mit Tyr kämpft und einer den anderen zu Fall bringt. Dem Thor gelingt es, die Midgardschlange zu töten; aber kaum ist er neun Schritte davongegangen, so fällt er tot zur Erde von dem Gift, das der Wurm auf ihn gespien hat. Der Wolf verschlingt Odin und das wird sein Tod. Alsbald kehrt sich Widar gegen den Wolf und setzt ihm den Fuß in den Unterkiefer. An diesem Fuß hat er den Schuh, zu dem man alle Zeiten hindurch sammelt, die Lederstreifen nämlich, welche die Menschen von ihren Schuhen schneiden, wo die Zehen und Fersen sitzen. Darum soll diese Streifen ein jeder wegwerfen, der darauf bedacht ist, den Asen zu Hilfe zu kommen. Mit der Hand greift Widar dem Wolf nach dem Oberkiefer und reißt ihm den Rachen entzwei und das wird des Wolfes Tod. Loki kämpft mit Heimdall und einer erschlägt den anderen. Darauf schleudert Surtur Feuer über die Erde und verbrennt die ganze Welt. So heißt es in der Wöluspa:
Ins erhobne Horn bläst
Heimdall laut;
Odin murmelt mit Mimirs Haupt.
Yggdrasil zittert, die ragende Esche;
Es rauscht der alte Baum, da der Riese frei wird.
Was ist mit den Asen, was ist mit den Alfen?
All Jötunheim ächzt, die Asen versammeln sich.
Die Zwerge stöhnen vor steinernen Türen,
Der Bergwege Weiser: wißt ihr, was das bedeutet?
Hrym fährt von Osten, es hebt sich die Flut;
Jörmungand wälzt sich im Jötunmute.
Der Wurm schlägt die Brandung, aufschreit der Adler,
Leichen zerreißt er; Naglfar wird los.
Der Kiel fährt von Osten, Muspels Söhne kommen
Über die See gesegelt, und Loki steuert.
Des Untiers Abkunft ist all mit dem Wolf;
Auch Bileists Bruder ist ihm verbunden.
Surtur fährt von Süden mit flammendem Schwert,
Von seiner Klinge scheint die Sonne der Götter.
Steinberge stürzen, Riesinnen straucheln,
Zu Hel fahren Helden, der Himmel klafft.
Nun hebt sich Hlins anderer Harm,
Da Odin eilt zum Angriff des Wolfs.
Belis Mörder mißt sich mit Surtur:
Da fällt Friggs einzige Freude.
Nicht säumt Siegvaters erhabner Sohn
Mit dem Leichenwolf, Widar, zu fechten:
Er stößt dem Hwedrungssohn den Stahl ins Herz
Durch gähnenden Rachen: so rächt er den Vater.
Da schreitet der schöne Sohn Hiodyns
Der Natter näher, der neidgeschwollnen.
Mutig trifft sie Midgards Weiher;
Doch fährt neun Fuß weit Fiörgyns Sohn.
Alle Wesen müssen die Weltstatt räumen.
Schwarz wird die Sonne, die Erde sinkt ins Meer,
Vom Himmel fallen die heitern Sterne;
Glutwirbel umwühlen den allnährenden Weltbaum,
Die heiße Lohe beleckt den Himmel.
Auch heißt es so:
Wigrid heißt das Feld,
wo sich finden zum Kampf
Surtur und die seligen Götter.
Hundert Rasten hat es rechts und links:
Solcher Walplatz wartet ihrer.
52. Da fragte Gangleri: Was geschieht hernach, wenn Himmel und Erde
verbrannt sind und alle Welten und die Götter alle tot sind und alle
Einherjer und alles Menschenvolk? Ihr habt vorhin doch gesagt, daß
ein jeder Mensch in irgend einer Welt leben soll durch alle Zeiten.
Har antwortete: Es gibt viele gute und viel üble Aufenthalte; am
besten ist's, in Gimle zu sein. Sehr gut ist es auch für die, welche
einen guten Trunk lieben, in dem Saale, der Brimir heißt und
gleichfalls im Himmel steht. Ein guter Saal ist auch jener, der
Sindri heißt und auf den Nidabergen steht, ganz aus rotem Gold
gebaut. Diese Säle sollen nur gute und rechtschaffene Menschen
bewohnen. In Nastrand (Leichenstrand) ist ein großer aber übler
Saal, dessen Turen nach Norden sehen. Er ist mit Schlangenrücken
gedeckt und die Häupter der Schlangen sind alle in das Haus
hineingekehrt und speien Gift, daß Ströme davon durch den Saal
rinnen, durch welche Eidbrüchige und Meuchelmörder waten, wie es
heißt:
Einen Saal seh ich, der
Sonne fern,
In Nastrand; die Türen sind nordwärts gekehrt.
Gifttropfen fallen durch die Fenster nieder;
Aus Schlangenrücken ist der Saal gewunden.
Im starrenden Strome stehn da und waten
Meuchelmörder und Meineidige.
Aber in Hwergelmir ist es am schlimmsten:
Da saugt Nidhöggr der Entseelten Leichen.
53. Da sprach Gangleri: Leben denn dann noch Götter und gibt es noch
eine Erde oder einen Himmel? Har antwortete: Die Erde taucht aus der
See auf, grün und schön, und Korn wächst darauf ungesäht. Widar und
Wali leben noch, weder die See noch Surturs Lohe hatte ihnen
geschadet. Sie wohnen auf dem Idafeld, wo zuvor Asgard war. Auch
Thors Söhne, Modi und Magni, stellen sich ein und bringen den
Miölnir mit. Danach kommen Baldur und Hödur aus dem Reiche Hels: da
sitzen sie alle beisammen und besprechen sich und gedenken ihrer
Heimlichkeiten, und sprechen von Dingen, die vordem sich ereignet,
von der Midgardschlange und dem Fenriswolf. Da finden sie im Grase
die Goldtafeln, welche die Asen besessen haben. Wie es heißt:
Widar und Wali walten
des Heiligtums,
Wenn Surturs Lohe losch.
Modi und Magni sollen Miölnir schwingen
Und zu Ende kämpfen den Krieg.
An einem Ort, Hoddmimirs Holz genannt, verbargen sich während Surturs Lohe zwei Menschen, Lif und Lifthrasir genannt, und nährten sich vom Morgentau. Von diesen beiden stammt ein so großes Geschlecht, daß es die ganze Welt bewohnen wird. So heißt es hier:
Lif und Lifthrasir
leben verborgen
In Hoddmimirs Holz;
Morgentau ist all ihr Mahl.
Von ihnen stammt ein neu Geschlecht.
Und das wird dich wunderbar dünken, daß die Sonne eine Tochter geboren hat, nicht minder schön als sie selber: die wird nun die Bahn der Mutter wandeln. So heißt es hier:
Eine Tochter entstammt
der strahlenden Göttin
Eh der Wolf sie würgt.
Glänzend fährt nach der Götter Fall
Die Maid auf den Wegen der Mutter.
Wenn du aber nun weiter
fragen willst, so weiß ich nicht, woher dir das kommt, denn nie hört
ich jemanden mehr von den Schicksalen der Welt berichten. Nimm also
hiermit vorlieb.
54. Darauf hörte Gangleri ein großes Getose rings um sich her. Und
als er sich wandte und recht um sich blickte, fand er sich alleine
stehen auf einer weiten Ebene und sah weder Halle noch Burg mehr. Da
ging er seines Weges fort und kam zurück in sein Reich und erzählte
die Dinge, die er gehört und gesehen hatte, und nach ihm erzählte
einer dem anderen diese Geschichten.